: Señora Coconut
Zwischen Copacabana und Clubkultur: Cibelle gilt als neue Hoffnungsträgerin des Elektro-Bossa. Mit ihrem Albumdebüt könnte die Brasilianerin dem etwas erschöpften Genre neues Leben einhauchen
von MAX DAX
Cibelle Cavalli Bastos, mit Künstlernamen Cibelle, betritt das Redaktionsloft in Berlin-Kreuzberg und begrüßt alle Anwesenden mit einem Küsschen auf die Wange, links und rechts: So macht man das in Brasilien. Seit Tagen gibt sie schon Interviews, jeden Tag in einer anderen europäischen Großstadt. Und seit einigen Monaten schon ist Cibelle transkontinental unterwegs: seit sie, ihre erste Solo-Veröffentlichung vor Augen, an ihrer eigenen Musik arbeitet. Der Karriere wegen ist die 25-jährige Brasilianerin im letzten Sommer zuerst nach Paris und von dort kürzlich weiter nach London gezogen. In Paris hat sie im vergangenen Winter zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee gesehen – „da saß ich im startenden Flugzeug in Paris Charles de Gaulles auf dem Weg nach Brasilien“. Cibelle sagt: „Paris Charles de Gaulles“, sie spricht den Namen des Flughafens ganz aus.
Seit vor wenigen Wochen ihr Albumdebüt „Cibelle“ erschienen ist, gilt die Sängerin unter Brazil-Clubheads als neue Hoffnungsträgerin: Ihr Electro-Bossa klingt so atemberaubend, raffiniert, stolz und verführerisch zugleich, dass es scheint, als könne er einem längst abgefeierten Trend neues Leben einhauchen. Im virtuellen Zwischenreich von Downbeat und brasilianisch inspirierten Lounge-Sounds, von Copacabana und Clubkultur wird Cibelle, die für ihre Musik eine erfolgreiche Karriere als Model aufgab, sogar eine größere Zukunft vorausgesagt als Bebel Gilberto, die bisher als Galionsfigur des Genres galt und gerade ein Remix-Album veröffentlicht hat.
Auch Bebel Gilberto hatte ihr Erfolgsalbum „Tanto Tempo“ vor drei Jahren von Suba, einem nach São Paolo emigrierten Serben, produzieren lassen. Und Suba gilt auch als eigentlicher Entdecker von Cibelle: Er hatte sie als Stimme für sein eigenes Album „São Paolo Confessions“ gewählt, das mittlerweile als Klassiker der digitalen brasilianischen Revolution gilt. Er hatte sogar geplant, mit Cibelle eine eigene Band zu gründen. Doch im November 1999 fiel Suba einem tragischen Unfall zum Opfer: Er starb an den Folgen einer Rauchvergiftung, die er sich zuzog, als in São Paolo sein Wohnstudio ausbrannte und er versuchte, seine Aufnahmen vor dem Feuer zu retten.
Cibelle hat ihrem Mentor nun ihr Debütalbum gewidmet. Sie erinnert sich noch gut daran, wie sie ihn Ende der Neunzigerjahre in einem Club kennen gelernt hatte: „Der Samba-Sound veränderte sich auf der Tanzfläche, und für Momente schien die Musik still zu stehen. Plötzlich hörte ich eine ganz andere Klangstruktur heraus, mich durchzuckte es, und ich dachte nur: Yeah! Ich habe jemanden gefunden, der genauso denkt wie ich! Den musste ich kennen lernen!“
In Europa hatten DJs damals begonnen, brasilianische Bossa- und Samba-Musik mit Drum-’n’-Bass- und anderen aktuellen Clubsounds zu verbinden. Suba war einer der Ersten, der diese Innovation in Brasilien selbst aufgriff und weiterführte, wobei ihm sein europäisches Verständnis von Programming und sein Gespür für geniale Arrangements zugute kam. Er wurde zu Cibelles bestem Freund und Produzenten. Im Gespräch betont Cibelle, dass die Musik zwar schon in ihrem Kopf Gestalt angenommen hätte, als sie noch eine Jugendliche war, also vor ihrer Begegnung mit Suba. Doch erst die Bestätigung, dass solche Klänge auch umsetzbar waren, ließen sie den Mut fassen, zielstrebig an ihrer eigenen Vision zu arbeiten.
Nach Subas Tod aber brauchte Cibelle zwei Jahre, um ihren Erstling fertig zu stellen, dessen Songs sie fast alle selbst geschrieben und koproduziert hat. Gemeinsam mit dem brasilianischen Produzenten Apollo 9 erarbeitete sie die Grundlagen, in London wurden schließlich Chris Harrison und Pete Norris von Morcheeba beauftragt, dem Album einen letzten Schliff zu verpassen. „Mir ging es um Schichtungen von Klängen, um Klanglandschaften und Auslassungen – und das alles in einem Korsett aus Bossa und Pop. Meine Musik besteht aus Kontrasten und Ironie“, beschreibt Cibelle die Idee hinter den ätherisch-luftigen, subtilen Songs ihres Albums. Es ist eine Herangehensweise, die auf Verständnis für die Tradition beruht und doch manisch das Neue sucht.
Das Album selbst klingt am Ende – nach Minuten der Stille – mit einer Song-Miniatur aus, die klingt, als sei sie live in einem Jazzclub aufgenommen worden. In einer Art Parodie singt Cibelle erst wie Billie Holiday, dann imitiert sie mit ihrer Stimme eine Trompete: Die Aufnahme klingt wie eine alte Schellackplatte. „Das ist ein Scherz. Aber solche Scherze können nur entstehen, wenn man ernsthaft bei der Sache ist. Ich wollte früher immer mitmachen bei den Jam-Sessions der Jazzmusiker. Manchmal ließen sie mich ein bisschen mitsingen. Aber meistens durfte ich nur Instrumente imitieren, etwa eine Trompete.“
Dem bleibt nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht eine in ihrer Klarheit nicht zu übertreffende Analyse des Downbeat-Magazins Chilled Beats: „That chick sings amazingly!“
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