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Der Mini-Marcelinho

Die B-Jugend von Hertha BSC ist Deutscher Meister. Kein Wunder, in der Regionalliga Nordost hat sie die Konkurrenten mit 17 Punkten Vorsprung deklassiert. Der Meistermacher heißt Kevin Boateng

von TOBIAS SCHÄCHTER

Es war keine Überraschung. Für niemanden. „Die waret einfach eine Nummer zu groß“, gab Frank Leicht, der Trainer des VfB Stuttgart, achselzuckend zu. Schon vor dem Spiel hatte es der 31-jährigen Schwaben geahnt: „Wenn die Maschinerie der Hertha einmal läuft, sind sie nicht zu halten.“ Er behielt Recht: Seit Samstag, 12.40 Uhr, ist Hertha BSC Berlin zum zweiten Mal nach 2000 Deutscher Meister der B-Junioren. 4:1 gewannen die Herthaner vor 1.905 Zuschauern im Stuttgarter Waldaustadion gegen den VfB Stuttgart.

Und das nicht einfach so. Die Art und Weise ihres Auftritts trieb die Zuschauer immer wieder zu langgezogenen „Ahhs“ und ungläubigen „Hosch des gsehe“. Nein, es war keine Überraschung. Auch nicht für die Berliner selbst, die gleich nach dem Schlusspfiff in T-Shirts mit der Aufschrift „Deutscher Meister 2003 – Hertha BSC Berlin“ ihre Ehrenrunde liefen. Auch Meistertrainer Dirk Kunert, der nach dem Schlusspfiff von seinen Spielern immer wieder in die Luft geschleudert wurde, zeigte sich nicht überrascht. Der ehemalige Profi von Blau-Weiß 90 war dennoch stolz auf seine Mannschaft: „Wir haben nicht durch Glück gewonnen, sondern uns durch eine gute Leistung verdient durchgesetzt.“ Das stimmt: Souverän, mit 17 Punkten Vorsprung, deklassierten die Schützlinge des 35-Jährigen die Konkurrenz in der Regionalligastaffel Nordost.

Wie sie aber bei der Deutschen Meisterschaft vor allem auswärts hochkarätige Gegner an die Wand spielten, das war aller Ehren wert. Es begann mit einem 6:1 in Dortmund. Im Halbfinale fegten sie Leverkusen mit 4:0 vom eigenen Platz und schließlich, am Samstag, im Endspiel blieb der VfB chancenlos.

„Ein großartiger Jahrgang“, freut sich Hertha-Manager Dieter Hoeneß: „Vier, fünf Mann geben zu großen Hoffnungen Anlass. In dieser Mannschaft steckt großes Potenzial.“ Auch Bundestrainer Michael Skibbe gab sich von der Klasse einzelner Spieler beeindruckt: „Hertha hat nicht nur verdient gewonnen, sondern auch gezeigt, dass der deutsche Fußball über überdurchschnittliche Talente verfügt.“

Namen wollte aber keiner von beiden nennen. Der Weg für die 15- und 16-Jährigen in die Bundesliga ist schließlich noch lang, ihre Entwicklung kaum vorhersehbar. Vom hoch gelobten Meisterjahrgang 2000 besitzt nur einer einen Profivertrag: U20-Nationalspieler Sophian Chaled.

Über den Meister 2003 urteilt Michael Skibbe: „Ich habe selten eine so starke Mannschaft in dieser Altersstufe gesehen.“ Für dieses Urteil muss man kein Nationaltrainer sein. Es beeindruckten die Klasse Einzelner, das geschlossene Auftreten und die Moral nach dem frühen Rückstand. Hertha-Stürmer Sascha Schrödter sorgte kurz vor der Pause für den Ausgleich, behielt auch kurz nach der Pause die Nerven und verwandelte einen Elfmeter zum 2:1. „Det is en jeiles Jefühl“, sagte Schrödter nach dem Spiel und prophezeite für die Feier am Abend im angemieteten Berliner Gate-Club: „Det jibt ne Riesensause.“ Geburtstagskind Aschkan Dejagah und Leon Binder gaben dem Ergebnis mit ihren Treffern die angemessene Deutlichkeit.

Der überragende Akteur aber war der Spielmacher Kevin Boateng. Der Junge mit den Streichholzbeinchen ist in der Lage, in die eine Richtung zu schauen und in die andere Richtung den Ball dem Mitspieler genau auf den Fuß zu spielen. In Haltung und Gestik erinnert der Sohn einer Deutschen und eines Ghanaers an Marcelinho. Wie der verblüfft Boateng immer wieder mit spektakulärer Technik. Er sagt: „Ich will Profi werden, Mann!“ Der U16-Nationalspieler spielt auch nächstes Jahr noch in der B-Jugend, soll aber schon in der A-Jugend eingesetzt werden. Er sagt: „Mir egal.“

Sein Trainer Dirk Kunert traut Boateng einiges zu. „Es hat schon Gespräche zwischen Dieter Hoeness und Kevin gegeben. Man will ihn langfristig binden.“ Boateng sagt dazu „nix“, will erst mal mittlere Reife machen. Für Kunert wäre es das „Schönste“, einmal einen Spieler in die Bundesliga zu bringen. Die deutsche Meisterschaft sei zwar schön, das übergeordnete Ziel sei aber, Spieler nach oben zu bringen, zu Profi-Trainer Huub Stevens, der sich regelmäßig über den Leistungsstand im Jugendbereich informieren lässt.

Sollte Kunert dies mit dem ein oder anderen Spieler der Meistermannschaft 2003 gelingen, wäre dies keine Überraschung.

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