: Aufgekratzter Distrikt
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
Es ist fast wie im Bürgerkrieg. Nord gegen Süd. Die Gefühle sind dabei ähnlich heftig wie damals, als die Vereinigten Staaten ganz unvereint aufeinander losgingen, weil die im Süden Sklaven hielten und die im Norden das empörend fanden. Gekämpft wird heute nicht auf dem Schlachtfeld, sondern im Äther. In den Lokalsendungen der US-Hauptstadtradios wird lautstark darüber gestritten, ob zum Tag der Amtseinweihung des neuen Präsidenten die Potomac-Brücken, die nach Washington hineinführen, geschlossen werden oder offen bleiben müssen. Denn die Brücken führen in Richtung Süden, vom District of Columbia hinaus nach Virginia. Dazwischen liegt nicht nur der trübe Fluss Potomac, sondern auch die unsichtbare Grenze, die einst das Amerika ohne Sklaverei von der Knechtschaft der Plantagenoligarchie trennte. Eine gedachte Linie, die entflohenen Sklaven, die es über den Fluss schafften, oftmals die Freiheit brachte. Deren erste Station war Washington.
Dass die Sicherheitsbehörden auch zur Amtseinweihung des ersten schwarzen US-Präsidenten über solche Gefühle hinwegholzen, macht vor allem die Schwarzen sauer. Die Weißen reden davon, wie wichtig es ist, dass die Innenstadt sicher bleibt.
Die Zeremonie der Amtseinweihung Obamas ist vom FBI als „globales Event“ kategorisiert worden. Nach Logik der Polizeibehörde erfordert das lediglich die Erweiterung des Sicherheitsplans, der seit den Terrorattacken des 11. September 2001 ohnehin in Kraft sei, erklärte Joeseph Persichini, Washingtoner FBI-Boss, kürzlich. Bereits seit Tagen richtet die Polizei Sicherheitsbarrieren ein, die sich kreisförmig um die Innenstadt Washingtons legen. Von außen nach innen bedeutet jeder Ring schärfere Kontrollen. Wer es am kommenden Dienstagvormittag vorbei an den Taschenkontrollen bis hinein ins Innerste, die „National Mall“, geschafft hat, soll dann mit riesigen TV-Leinwänden, sogenannten Jumbotrons, ruhiggestellt werden. Denn zu viel Bewegung, das mögen die Spezialistenteams, die hinter den Kulissen postiert sein werden, nicht. Dann kommen die bewaffneten Spezialeinheiten der Polizei, die Swat-Teams, die Evidence-Response-Techniker, die Bombenexperten, die Cyberpatrouilleure, die Geiselverhandler und all die anderen Spione in Zivil durcheinander, die dafür sorgen müssen, dass nichts an diesem historischen 20. Januar passiert. Zwar gebe es keine spezifischen Bedrohungen, beteuern die Stadtverantwortlichen, doch verrückte Rassisten, die keinen schwarzen Präsidenten wollen, existierten genug in diesem Land, heißt es immer wieder.
Dennoch ist die Bundeshauptstadt der USA, Austragungsort des Amtsantritts Obamas, in aufgekratzter Stimmung, zugleich ist sie wild entschlossen, der Nation eine unvergessliche Feier zu bieten – trotz der eisigen Kälte. Es wären zudem nicht die USA, hätte nicht allen voran die Warenwelt Barack Obamas großen Tag zu ihrem großen Tag erklärt. Nein, die Haferflockenfirma Quaker Oatmeal will nicht nur schnöde Werbung machen. Das Unternehmen beabsichtigt etwas anderes: Wenn der 47-jährige „Rockstar“ Barack mit seiner Familie am Dienstagmorgen im stillen Gottesdienst noch einmal in sich geht, dann sollen Frauen, die sonst Mutti-Blogs schreiben, später präsidiale Haferflocken kochen und sie an bedürftige Nachbarn verteilen.
Das Weiße Haus, das Amt, der Mann – alles ist der Wirtschaft recht, um farblich, geschmacklich und dümmlich passende Fantasien zu entwickeln. In der pompösen Lobby des Washingtoner Bahnhofs, der Union Station, hat das schwedische Möbelhaus Ikea das Oval Office, Obamas künftigen Arbeitsplatz, nachgebaut. Natürlich mit Warenmustern aus der eigenen Billigkollektion. „Du könntest hier sitzen“, ist die Botschaft des Möbelherstellers, der natürlich auf die Bodenständigkeit des neuen Präsidenten verweist. Denn das ist das Schöne an Obama: Er ist ja wirklich der Volkspräsident, der smarte Underdog, den eine Graswurzelbewegung junger Leute vorbei am großen Geld bis nach Washington, D. C. getragen hat.
Den Washingtonern selbst sind indessen die schwindelerregenden Prognosen über bis zu vier Millionen Besucher zu Kopf gestiegen. Tausende haben ihre Apartments und Zimmer zu Fantasiepreisen im Internet inseriert. In schlechten Zeiten ist das kein schlechter Nebenverdienst. Allerdings blieb der große Run auf die Privatbetten bislang aus. Im Internet sind immer noch viele Zimmer zu haben.
Unterdessen hat das Gerede vom Verkehrshorror, den Sperrungen und den allgegenwärtigen Taschenkontrollen doch gewirkt. Die Krankenhäuser haben noch eins draufgesetzt. Seit Tagen warnten sie, dass angesichts des großen Menschenandrangs nur schwere Notfälle behandelt werden können. Na ja, haben sich wohl tausende Besucher gedacht – und es sich vielleicht anders überlegt mit ihrem Ausflug nach Washington.
Nicht so James Taylor. Der afroamerikanische Krankenpfleger aus Pittsburgh will unbedingt nach D. C. reisen. Er hat sich bei Bekannten eine Unterkunft organisiert und kommt mit seinem Freund. „Ich muss dabei sein, das ist eine einmalige Sache, so was erlebst du nur einmal im Leben. Ich bin 44 und war bis vor einem Jahr absolut davon überzeugt, dass ich nie in meinem Leben einen Schwarzen im Weißen Haus sehen werde.“
Ob er Obama wirklich zu sehen bekommen wird, ist Taylor dabei fast egal. Denn jenseits der Politik gibt es Grund genug, in die von den US-Amerikanern ungeliebte Hauptstadt zu kommen. Alle Bars, Kneipen und Restaurants haben von Bürgermeister Adrian Fenty, einem Freund Obamas, grünes Licht für vier Tage Nonstop-Party bekommen. Seit Wochenbeginn rumpeln Lieferwagen über die löchrigen Washingtoner Straßen und laden tonnenweise Bier, Fritten und Hamburgerfleisch ab. Pedro Lopez, ein Kneipenwirt im Latino-Stadtviertel Mount Pleasant, reibt sich die Hände. „Die Zeiten sind hart, wir brauchen jetzt mal richtig Party.“
Doch wer feiern will, muss ausgehen können. Das Megaereignis bringt Probleme mit sich, an die natürlich vorher keiner gedacht hat. So sind Babysitter eine der meistgefragten Dienstleister dieser Tage. Aussichtslos, jetzt noch jemanden zu finden. Und wohin mit all den Obdachlosen, die ihr Leben sonst auf den Dampf speienden U-Bahn-Gittern und Heizungsschächten fristen. Bitte ausziehen, heißt es unnachgiebig von den Polizeibehörden. In der totalen Sicherheitszone, gut zwei Quadratkilometer um den Ort herum, an dem Obama “… so wahr mir Gott helfe“ schwören wird, muss alles evakuiert werden. Nein, sie könnten natürlich zuschauen, heißt es dann immer, aber die Taschen dürfen nicht mit rein.
„Die Amtseinweihungsrede ist unwichtig. Die Parade danach endlos. Die stillosen Bälle sind überfüllt und die Käsecracker dazu fade“, schimpft Robin Suratt, eine schwarze Verlagslektorin aus Washington. Jedes Mal sei es „kalt, voll, teuer und kitschig“. Aber sie wird wieder dabei sein, wenn eine Ära zu Ende geht und eine neue beginnt. „Klar, man geht hin und schaut, hinterher trinkt man ein Bier. Das war’s.“
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