: Die Qualitäten des Baustoffs Lehm
Sebastian Schutyser hat in Mali Moscheen aus Lehm fotografiert. Das Architekturmuseum Frankfurt zeigt eine Auswahl
Schon sein erstes Projekt realisierte der 1968 geborene belgische Fotograf Sebastian Schutyser in Mali. Er porträtierte Menschen entlang des Niger und entdeckte dabei den architektonischen Formenreichtum der kleinen Lehmmoscheen in den Dörfern. Zurück in Gent, suchte er vergeblich nach Literatur. Im Gegensatz zu den großen, von der Unesco als Weltkulturerbe registrierten Lehmmoscheen in Djenné und Timbuktu war die ländliche Baukunst völlig unbekannt.
Schutyser kehrte nach Mali zurück und bereiste das riesige Binnendelta des Niger. Da er viel Zeit mitbrachte und ebenso lebte wie die Bewohner, gewann er deren Vertrauen und durfte die Kultstätten in hunderten von kleinen Dörfern fotografieren. Das Architekturmuseum in Frankfurt zeigt nun eine Auswahl aus diesem künstlerisch und dokumentarisch beeindruckenden Werk. Das Obergeschoss wurde von Trennwänden befreit, sodass man von der Mitte des Saales die etwa 40 großformatigen Fotos überblicken und die architektonische Vielfalt der Moscheen erfassen kann.
Sie entsprechen unserem vom arabischen Kulturraum geprägten Bild einer Moschee in keiner Weise, sondern nehmen mit ihrer massigen Erdnähe und ihren phallischen Symbolen Elemente schwarzafrikanischer Naturreligionen auf. Als Moschee erkennbar sind sie durch ihren nach Mekka ausgerichteten Michrab, der als Vorwölbung von außen erkennbar ist. Der Fotograf entschied sich für Schwarzweiß-Aufnahmen, um die bildhauerisch-plastische Formensprache der schlichten Kultstätten und die körnige Oberflächenstruktur ihrer Lehmwände ins rechte Licht zu rücken. Oft ragen Bündel von Palmholz aus der Fassade, die nicht nur schmücken, sondern als permanentes Baugerüst dienen. Sie werfen faszinierende Schatten auf die von Hand modellierten Lehmflächen.
Für die kraftvolle Ausstrahlung sind weder Architekt noch Bildhauer verantwortlich, sondern die Dorfhandwerker, denen die jeweiligen Dorfbewohner assistieren. Aus diesem Zusammenspiel resultiert der individuelle Charakter jeder Moschee. Gemeinsam bessern die Familien eines Ortes auch die Lehmoberflächen nach der Regenzeit aus, sodass die Kultstätten eine soziale Funktion für das Dorfleben erfüllen und Generationen miteinander verbinden.
Mit seiner Bestandsaufnahme reiht sich Sebastian Schutyser in die Reihe der großen Dokumentarfotografen ein, die mit dem Amerikaner Walter Evans beginnt und bis zu dem auf Industriearchitektur spezialisierten Ehepaar Becher reicht. „Die auf Lehm basierende Architekturkultur ist gefährdet. So gelangte ich zur Überzeugung, dass diese fotografische Arbeit notwendig ist, damit die Bilddokumente in Mali, in anderen Ländern Afrikas und der übrigen Welt Zeugnis ablegen von einer kreativen Mikrokultur des Bauens“, so Schutyser in dem im Begleitbuch abgedruckten Interview.
Er wird seine Aufnahmen an die Dorfgemeinschaften „zurückgeben“. Zu hoffen ist, dass die zu Kunstwerken stilisierten Moscheen deren sicheres Formempfinden ansprechen. Denn es ist ein europäischer Blick, der sich auf die Morphologie der Bauten konzentriert, indem er ihre sinnlichen und kreativen Qualitäten isoliert. Das Alltagsleben und die Farben Afrikas fehlen auf diesen Bildern, aus denen Menschen und Tiere verbannt sind. Daher lassen die Fotos selbst kaum erkennen, dass die Moscheen als lebendige Zentren der Dorfgemeinschaft genutzt werden und glücklicherweise noch keine musealen Stücke sind, die ihre Funktion an standardisierte, „moderne“ Neubauten abgeben mussten.
URSULA WÖLL
Bis 3. August, Begleitbuch 22,90 € www.dam-online.de.
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