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Hallo Touri!

Odyssee durch Bremens Scheußlichkeiten: Der „Ersatzverkehr 2004“ als Soziologiesafarie

Survival-Wandern in Nepal, Armutgucken am Ganges oder Baggern am Ballermann – ein Tourist wähnt sich außer Gefahr. Er hat dafür bezahlt, dass er mit Sicherheitsabstand und doppeltem Boden die Welt sehen darf und vom Ernstfall der Realität ungeschoren bleibt. Und wenns mal schief geht: Joschka is watching you, haut dich aus den fiesesten Sahara-Geisel-Camps raus.

Zum Auktakt des multimedialen Sommerprojektes „tourist city“ haben die Berliner „was-ist-das-Produktionen“ zusammen mit Jungem Theater und dem Schlachthof den Ernstfall im Reisebus geprobt. „Ersatzverkehr 2004“ beginnt als harmlos-spießige Stadtrundfahrt, die den Stempel von Kommerz und Massenabfertigung trägt: Schnell wirds gehen, verspricht die adrette Dame mit dem neckischen Halstuch, „Sie haben eine gute Wahl getroffen“. Es endet in einer Irrfahrt fernab dessen, was die Medienmaschinierie noch bereit wäre, als sehenswert zu verkaufen.

So wenig wie es Odysseus, der Prototyp des heroischen Reisenden, schaffte, auch nur einen von seinen Gefährten heil nach Hause zu bringen, so sind auch hier an jeder Ecke Verluste zu beklagen. Zweifelhafte Gestalten lauern an den Vorstadtstraßen wie Sirenen und Meerungeheuer: eine schmierige Mischung von Vertreter und Wanderprediger, danach eine in Mull verpackte Lebendig-Mumie. Sie locken den jeweiligen Kapitän des Schiffes beziehungsweise Busses hinaus, die Tür schließt sich postwendend. Drinnen bleibt eine irritiert-amüsierte Reisegruppe. Der Bus folgt weitereren Abwegen, und was sich eben noch draußen bedrohlich getummelt hat, ist jetzt mitten unter uns.

Kultur bildet Unterscheidungen, sagt der Soziologe Niklas Luhmann: das Eigene versus das Fremde, je nach Standpunkt minderwertig oder exotisch. So eine Irrfahrt aber würfelt die Kategorien gehörig durcheinander. Hat man die Scheußlichkeit in der eigenen Stadt je so bewusst gesehen? Uniforme Reihenhauszeilen, Shoppingghettos, Amüsierhöllen mit Kegelbahn und gutbürgerlicher Küche. Vergessen der heimliche Traum vom Häuschen am Stadtrand. Das hier muss das Fremde sein, und ich bin auf Safari.

Nun bricht der Durchschnittstourist keineswegs auf, um das Fremde zu entdecken, hat Luhmann erkannt. Was er sucht, sind nur die Originale zu den Reproduktionen, die er schon tausendfach medial erlebt hat. Und dann gibt es noch den kleinen unbeugsamen Gallier unter den Urlaubern, der der Massenabfertigung trotzt und standhaft die Lebenswirklichkeit einer fremden Gesellschaft hinter den Klischees sucht.

Stadtforscher haben beobachtet, dass die Zahl dieser Asterixe wächst. Gleich wird der Trend von kommerziellen wie Non-Profit-Veranstaltern kanalisiert und in die Bahnen der Gruppentour gelenkt. Auch das parodiert der „Ersatzverkehr“ subtil. Schon Niklas Luhmann wusste: Die begehrte Lücke zwischen Tele- und Realtourismus ist nichts als ein weiteres Produkt der Medien.

Dem Soziologen Zygmunt Baumann zufolge fühlten sich unsere Vorfahren ihr Leben lang zu einem fernen, zukünftigen Ziel unterwegs. In der Postmoderne aber zerfalle die Lebensspanne in kurze, unverbundene wie unverbindliche Zeitabschnitte. So wird aus dem Pilger ein Flaneur, Vagabund – oder Tourist. Der betrachtet die Welt als rein ästhetischen Gegenstand, sammelt Interessantes und Vergnügliches. Die „Ersatzverkehr“-Mumie, die selbst zum Touriführer mutiert und ihre Story schildert – wie sie erlegt, zerlegt und archiviert wurde –, führt ihm also letztlich seine eigene, touristische Wahrnehmung vor. Annedore Beelte

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