Neue Platten: In seiner ersten Werkschau legt Martin Dean gleich mal das Beste vor: Sanfter Schmelz mit Musik in zerknitterten Anzügen
Zur richtigen Vorbereitung für die folgende Musik stellen Sie sich einfach mal vor, dass Sie in einem Sessel aus rotem Plüsch sitzen. Er ist schon reichlich abgewetzt und vielleicht deswegen ihr Lieblingssessel in ihrem Lieblingsclub, ein bisschen Kaschemme, ein wenig Grandeur, die die Kronleuchter im Saal nur mehr mangelhaft ausleuchten, und auf der Bühne machen sich gerade einige Herren in zerknitterten Anzügen an die Arbeit, und die haben bereits so viele Moden kommen und wieder Tschüss sagen gehört, dass sie einfach einmal nach der Essenz suchen wollen, und das ist nicht Rock ’n’ Roll und nicht Soul, das ist nicht Lounge-Funk und nicht Clubmusik, sondern das ist der Herzmuskel, der den Rock ’n’ Roll und den Soul, den Lounge-Funk und auch ein klein wenig die Clubmusik mit Leben voll pumpt und sich dabei überhaupt nicht geniert, nach der Seele zu greifen.
Ja. Seele. Das ist wirklich „The Best of Martin Dean“, der Titel der Platte, und deswegen zündet man sich in seinem Sessel noch eine Zigarette an und schwenkt sein Glas bedächtig, um sich nur nicht seine Rührung anmerken zu lassen. Weil in diesen Dingen gilt es Contenance zu wahren, weil ein Schatz auch gehütet sein will. Wäre das nicht so, würde doch zum Beispiel ein Tav Falco in den Stadien spielen müssen und nicht Bruce Springsteen. Wo aber Tav Falco oft mit dilettierenden Musikern unterwegs ist (was ganz unbedingt auch seinen Charme hat), arbeitet dieser Martin Dean – ein Crooner der guten Schule, der keine Scherze mit dem sanften Schmelz treibt – inmitten einer Band, die das alles mit der notwendigen Lässigkeit zu spielen weiß. Die feste Arbeitsbesetzung ist Yoyo Röhm, Stephan Creutzburg, Tim Lorenz und Jochen Arbeit. Geholfen bei dem Album haben weitere Neubauten-Musiker und welche aus deren Umfeld: Alexander Hacke spielte etwas Gitarre, Thomas Wydler trommelte, es gibt schöne Geigenparts, tolle Orgeln, und von manchen Stimmungen wie auf den Platten von Crime & The City Solution oder Nick Cave ist zu hören. Bei Martin Dean aber ist das kein um die Erlösung ringender Katholizismus. Eher eine existenzielle Gelassenheit, wie Doris Day ihr „Que sera“ gesungen hat.
Manchmal aber begegnet man doch den Dämonen der Nacht, die sich nie ganz vertreiben lassen. Eine latente psychotische Spannung. Auch die pumpt hier und treibt die Musik um. Das Bekenntnis zum eleganten Tuch soll den Dreck unter den Fingernägeln gar nicht verbergen.
Ausnehmend gut gefällt mir natürlich dabei, dass im Titel „That’s for sure“ der aus Eric Burdons „San Franciscan Nights“ bekannte Gitarrenlauf getreulich aufgenommen wurde. Das zeigt Respekt und auch, dass man nur deswegen weiter schauen kann, weil man auf den Schultern von anderen steht. Die Aussicht reicht nach vorn und zurück (Puristen aber werden sich vielleicht an manches elektronische Zuspiel erst gewöhnen müssen). Und das schwüle „Me Gusta“ mit seiner irrlichternden Orgel müsste unbedingt der Berliner Sommerhit werden. Ein kleiner wenigstens. Fürs eigene Schatzkästlein. THOMAS MAUCH
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