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als heinrich lübke in burgdorf, mit alain délon in husum von WIGLAF DROSTE

Das niedersächsische Burgdorf ist ein Städtchen zwischen Hannover und Peine, von dessen Existenz ich durch eine Einladung des Kulturamtes Kenntnis erhielt. Ich nahm an; der Auftritt im Schlossgarten war die erste vogelgezwitschergestützte Lesung meines Lebens. Enormes Gepiepe und komplexestes Tirilieren orchestrierte meine Worte; gern träte ich mit der Burgdorf Schlosspark All Star Bird Band noch einmal auf, doch bedauerlicherweise lernte ich keinen dieser gottvollen Musiker persönlich kennen.

Als Garderobe hatten mir meine umsichtigen Gastgeber den Sitzungssaal des Rathauses zur Verfügung gestellt; dort las ich in einer Broschüre mit dem grausen Titel „Burgdorf – hier findet Leben Stadt!“ Immerhin fand ich dort ein Vorwort des Bürgermeisters Alfred Baxmann (SPD) und des Stadtdirektors Leo Reinke (CDU), deren Gesichter ich bei einem kurzen Gang durch Burgdorf schon x-mal gesehen hatte: In Burgdorf wird am 13. Juni der Bürgermeister gewählt, Reinke tritt gegen Baxmann an. In diesem lokalen Wahlkampf steckt jedenfalls mehr Substanz als in der Europawahlkampagne der Grünen mit ihren peinlichen Parolen „Joschka wants you!“ und „It’s Yourope!“.

Vertieft in die Lektüre, fühlte ich mich plötzlich beobachtet: Von der holzvertäfelten Wand musterten mich alle acht bisherigen deutschen Bundespräsidenten von Heuss bis Rau, alle mit ernst getrimmtem Blick überm Schlipsknoten. Vielleicht war es das Konterfei des Ronald-Reagan-Geisteszwillings Heinrich Lübke, das mir eingab, dem Burgdorfer Publikum gegenüber zu behaupten, mich in Burghausen zu befinden – Lübke wusste selten, wo er gerade sprach. So bot ich nach dem Schnitzer sofort an, das Porträt Heinrich Lübkes im Burgdorfer Rathaus gegen meines zu tauschen, mir zu Schmach und Schande, doch gnädig verzichteten die Burgdorfer auf diese Sühne.

Die Frage ventilierend, werwo ich sei, landete ich anderntags in der Stadt Theodor Storms an, in Husum. Im Hotel „Osterkrug Superiore“ mit der Eigenwerbung „Ein guter Ruf geht uns voraus“ war für mich reserviert. Ich bekam den Schlüssel für Zimmer 203 ausgehändigt, ging zum Veranstaltungshaus „Speicher“, wurde mit frischer Scholle fein bewirtet, las – und bekam den Schlüssel für Zimmer 202 im Osterkrug. Den Luxus gleich zweier Zimmer nutzen wollend, schloss ich die Tür zu Zimmer 202 auf. „Hallo – wer ist da?“, rief mir eine verschlafene Männerstimme aus dem Dunkel entgegen. „Pardon“, gab ich zurück – und malte mir in Zimmer 203 aus, auf welcher Husumer Parkbank ich diese Nacht mit etwas Pech hätte verbringen dürfen.

Ob im Husumer Osterkrug die Tage kürzer sind als anderswo? Schon ab halb sieben am Morgen war das Hotel voll Ramentern, Geklödder und Rabastern. Dank Ohropax nickerte ich noch einmal weg. Der junge Alain Délon kam an mein Bett. „Ich will nicht immer der richtige Mann sein müssen, ich will auch einmal bei einem richtigen Mann liegen“, klagte er. Doch ich nutzte seine Schwäche nicht aus und gab zurück: „Herr Délon, denken Sie an Ihren Ruf. Was sollen Ihre Verehrerinnen von Ihnen denken?“ Er dankte mir, und wir verließen Husum als ziemlich multiple Persönlichkeit.

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