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Immer zärtlich an der Hand halten

Bücher für Randgruppen: Ein Bildband des Fotografen Thomas Dworzak zeigt anonyme Porträts von Taliban

Frauen gibt es keine: Sie existieren nur auf den Verpackungen von Kosmetika

Dass die Taliban regelrechte Monster sind, durchgeknallte religiöse Fanatiker, die ohne jedes Erbarmen eine besonders fundamentalistische Variante des Islam vertraten, zeigte sich der Welt endgültig in der öffentlich angekündigten Zerstörung des über 1.500 Jahre alten Buddhas von Bamijan. Zuvor gab es schon seltene, auf verschlungenen Wegen aus dem Land geschmuggelte Bilder von aus Kassettenhüllen gezogenen Tonbändern, die als makaberer Girlandenschmuck die Bäume und Wäscheleinen Kabuls zierten. Die Nachrichten von gesteinigten und auf andere, schlimme Arten gepeinigten Frauen oder von lebendig begrabenen Homosexuellen mussten ganz ohne Bild auskommen. Neben dem Verbot von Musik existierte ein striktes Film-, Fernseh-, Radio- und Fotoverbot.

Auch das Fotografieren des Regimes selbst war streng verboten, einzigartig in der Geschichte der Fotografie. Vom Führer Mullah Mohammed Omar existiert bis heute nur ein unscharfes Lichtbild. Trotzdem scheint das Gebot zumindest zeitweise durchbrochen worden zu sein. Als nämlich den Taliban klar wurde, dass sie Fotos für Ausweise und Reisepässe brauchten. Bei dieser Gelegenheit, recherchierte der junge, deutsche Magnum-Fotograf Thomas Dworzak vor Ort in Kandahar, fragten sie dann den örtlichen Fotografen, ob sie nicht etwas Schöneres, beispielsweise ein hübsch retuschiertes Porträt von sich haben könnten.

Diese, bei ihrer Flucht zurückgebliebenen anonymen Porträts aus der Talibanhochburg Kandahar hat Thomas Dworzak nun in einem höchst bemerkenswerten Buch versammelt. Auf diese Weise bietet sich jetzt die einzigartige Möglichkeit, in den Gesichtern und Körperhaltungen dieser so ungemein mysteriösen Wesen zu lesen, die nicht selten als Flüchtlingswaisen in pakistanischen Koranschulen heranwuchsen.

In den einleitenden Worten betont der Autor, dass die in Kandahar ansässigen Paschtunen eigentlich ein der Talibanideologie entgegengesetztes ästhetisches Empfinden hätten. Es gebe ein gewisses Faible für ausladende Ornamentik in der Architektur, die Männer schminkten sich gern die Augen und färbten sich die Haare. Täglich, so Thomas Dworzak, hätte er homoerotische Annäherungsversuche durch Soldaten erfahren, die ihn meist an den Handflächen kitzeln wollten.

Es stellt sich nun die Frage, ob die rund fünfzig verschiedenen Porträts vielleicht teils aus Paschtunen- und teils aus Talibanporträts bestehen. Möglicherweise hatte ja die Paschtunenkultur bereits die talibanische Kultur infiziert. Sind die sich zärtlich an den Händen haltenden Männer mit den geschminkten Augen und den hübsch kolorierten Hintergründen tatsächlich echte Taliban oder bereits paschtunisierte Gotteskrieger?

Andererseits scheinen die schwer bewaffneten Figuren vor dem absurden Hintergrund einer Fototapete – ein Schweizer Chalet mit farbenfrohem Garten und Campingzelten – auf jeden Fall leibhaftige Taliban zu sein. Oft Kinder, fast immer ernst oder grimmig, die Waffe gegen den geliebten Mitkämpfer oder den Fotografen selbst gerichtet. Sogar ein regelrechtes Spaßfoto ist dabei: Ein überaus finster dreinblickender Knabe hält seinem mit einer schrillen Brille versehenen Freund die Pistole an die Schläfe – dieser aber lächelt und hält ihm treu die Hand. Aus einer anderen Hand lugt ein Luftpostbrief mit weltlichen blauroten Streifen.

Frauen existieren in dieser absurden Welt überhaupt nicht. Nur einmal tauchen sie auf: als übermalte Gesichter auf den Verpackungen von Kosmetika im Regal eines Geschäftes.

WOLFGANG MÜLLER

Thomas Dworzak, Magnum-Archives: „Taliban“, mit 50 farbigen und 6 schwarzweißen Aufnahmen, fotobuch-edition, Freiburg, 24.95 €

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