: Bruder Bass
Joëlle Léandre weiß warum sie nicht Flöte spielt: Ein Soloabend für Stimme und Großinstrument im Sendesaal
Jeder Mensch sollte mindestens einen anderen Menschen kennen, der Kontrabass spielt. Denn Kontrabass-Spielende können lustige Geschichten erzählen, die zwar von ihrem Musikerdasein handeln, und trotzdem keine Musikergeschichten sind. Das dürfte an der – realen – Größe genauso wie an der – vermeintlichen – Unhandlichkeit ihres Instruments liegen.
Es sind Geschichten von Menschen. Taxifahrer zum Beispiel. Joëlle Léandre ist eine in mehrfacher Hinsicht herausragende Vertreterin dieser Zunft – also der Kontrabass-Spielenden. „Taxi!“, ruft sie, noch während sie zum Notenpult eilt. Was folgt ist eine Mischung aus Hörspiel, Song und Solostück für Bass und Stimme.
Ob sie nicht manchmal denke, Flöte zu lernen wäre besser gewesen, verwickelt sie der fiktive Taxifahrer ins erdacht-alltägliche Gespräch. Derweil die Melodiepartikel und gezupften, gestrichenen oder geklopften rhythmischen Muster sich zwischen atmosphärischer Grundierung der Geschichte und Verwobenheit mit der Sprechstimme kaum entscheiden können. So schnell geht das alles. Rasch noch vom Kanarienvogel erzählt, den er mal… Kopfsteinpflaster, Zielort, Dankeschön!
Joëlle Léandre ist eine Grenzgängerin verschiedener zeitgenössischer Musikwelten. Und sie ist eine Persönlichkeit. Ihr Zugang zum Instrument ist ein körperlicher, der aber nie brachial wirkt. Das übergreifende Thema des Abends, in Kompositionen von Cage ebenso wie bei ihren Improvisationen und einer gebrochen swingenden Hommage an den kürzlich verstorbenen Steve Lacy, ist die Stimme.
Léandre singt, spricht, lässt Geräusche entstehen. Darüber, darunter der Bass. Partikel minimalistischer Strukturen, flächige Sounds, selten harte Schnitte. Auch die Stimme ist stets eine Kunst-, keine Körperstimme. Beim unausgegorenen Notti des Franzosen Fenelon ein Problem. Bei ihrer eigenen leichten Improvisationen weniger.
Beeindruckend nach wie vor Léandres Markenzeichen – während des Bogenspiels eine stark rhythmisierte, dabei untergründig dräuende zweite Stimme auf Korpus und Saiten zu klopfen. Auch wenn man sich mitunter wünscht, es möge doch mal ein wenig knarzen, ein wenig unkontrollierter daher kommen. So verheddert sich Léandre gegen Ende in Clownerien, anstatt sich auf das pointierte Ende ihrer brillant kleinteiligen Abschluss-Improvisation zu konzentrieren.
tim schomacker
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