piwik no script img

„Hoffentlich war das heilsam“

Der Zweiligist 1. FC Union Berlin steht vor einer schweren Saison. Das Geld ist knapp, der Präsident träumt vom Aufstieg, der Trainer von Platz 8. Im letzten Testspiel setzte es gestern eine 0:4-Niederlage gegen Rostock. Eine Analyse

Die Ausgangslage: Es gibt unterschiedliche Zielsetzungen beim Zweitligisten 1. FC Union Berlin. Der Trainer, Mirko Votava, würde bereits Platz acht – einen Rang besser als in der Vorsaison – als Erfolg werten. Präsident Heiner Bertram will jedoch unbedingt unter die ersten Sechs, „weil nur mit Spitzenfußball Investoren für unser neues Stadion gewonnen werden können“. Das wurde – zumindest als Modell – am Sonntag bereits vorgestellt.

Die Finanzen: Für die Vision Bundesliga, ein Tabu für Votava („Unser Präsident kann aber gerne davon träumen“) hat man sogar eine Prämie ausgelobt: 2.000 Euro pro Einsatz, also bis zu 68.000 Euro für Stammspieler. Das steht im Kontrast zur sonstigen Köpenicker Knickrigkeit. Gerade sorgt intern wieder eine Diskussion ums Geld für Unruhe, die Bertram heute resolut beenden will. Es geht um die Prämienverhandlungen mit jenen acht Profis, die noch alte Verträge besitzen und überarbeitete Kontrakte, leistungsbezogener, ohne die bisherigen Antrittsgelder (1.000 bis 3.000 Euro pro Profi und Einsatz), abgelehnt haben. „Diese Auflaufprämien, die wir sogar bei Niederlagen bezahlen müssen, machen unseren Etat so teuer“, beklagt Bertram. Zwei Gesprächsrunden ergaben kein Ergebnis, nun sagt Bertram, der Verein führe keine Tarifverhandlungen: „Die wollten ihre alten Verträge behalten, also müssen sie auch mit unserer Prämienregelung klarkommen – ob es ihnen passt oder nicht.“

Der Sponsor: Der Verein hat auch nach der drastischen Reduzierung des Etats (von 7,6 auf 6,5 Millionen) keine finanziellen Reserven. Wäre es nicht gelungen, den Hauptsponsor-Vertrag mit der BSR-Gruppe zu verlängern, „hätte das einen kleinen Verein wie uns mittelfristig in die Insolvenz treiben können“, so der Clubchef.

Das Spiel: In den ersten sechs Testspielen gelangen gegen unterklassige Teams 35 Treffer. Das nährte Hoffnungen, den schleppenden Dauerkartenverkauf (erst 800 Tickets sind weg, im Vorjahr waren es doppelt so viele) ankurbeln zu können. Am Sonnabend jedoch wurde die Saisoneröffnung gegen Hansa Rostock zur Fortsetzung der verkorksten vergangenen Runde, als nur drei Heimsiege gelangen. Das 0:4 gegen den Bundesligisten schlug gewaltig auf die Stimmung. Von Minute zu Minute verließen mehr Zuschauer den Festplatz, die laut Plan eigentlich noch ihre Mannschaft auf der Bühne feiern sollten. Am Ende blieben nur ein paar hundert Hartgesottene. Der Rest ging auf Distanz, obwohl versprochen war, die Profis würden sich zum Plausch noch unters Volk mischen.

Die Hoffnung: Acht Tage vor dem Start in die neue Saison erlebte Union ein Debakel, eine Vorführung, ja Demütigung. „Ich hoffe, dass wir uns noch stabilisieren, sonst gehen wir schweren Zeiten entgegen“, sagte ein geschockter Votava: „Ich hatte geglaubt, dass wir schon weiter wären.“ Für beide Mannschaften war es das letzte Testspiel, doch „die Rostocker waren spritzig, meine Jungs hingegen kaputt“, wirkte Votava ratlos.

Die Abwehr: Nimmt man das Hansa-Spiel zum Anlass, droht Votavas Taktik zu scheitern. In der Abwehr hat er auf eine Viererkette umgestellt, die je nach Gegner auf eine Dreierkette reduziert werden soll. Davor bilden ein oder zwei Spieler die zusätzliche Absicherung. Im letzten Test war die Defensivformation ein Torso.

Das Mittelfeld: In der Offensive brachte der Regisseur Kostadin Vidolov nichts zustande – wie so oft seit seiner Vertragsverlängerung im Winter. Sein vor Selbstbewusstsein nur so strotzender Mitstreiter Thomas Sobotzik („Wir werden Dritter“) blieb ebenfalls den Beweis schuldig, das Heft in die Hand nehmen zu können. Ihn hat Votava bereits gewarnt: „Wenn er die Sprüche nicht in Leistung umsetzt, kommt mir das irgendwann sauer hoch.“

Der Sturm: Der Coach will weiter auf eine Doppelspitze setzen. Doch auf dem Platz gifteten sich die glücklosen Partner Steffen Baumgart und Sreto Ristic nach dem x-ten Missverständnis nur noch an. Vier von fünf Zweikämpfen gingen verloren, sein Personal habe sich „die Wurst vom Brot nehmen lassen“, klagte Votava: „Hoffentlich war das heilsam und es sind jetzt alle wach geworden.“ „In Mainz präsentieren wir uns ganz anders“, versprach Abwehrchef Michael Molata. Skepsis bleibt.

Der Trainer und der Präsident: Der 47-jährige Votava ist bei der Vereinsführung unumstritten. Allerdings muss er sich jetzt beweisen. „Im letzten Jahr hat er noch das Beste aus einem Kader gemacht, in dem nichts mehr stimmte“, sagt Bertram, „jetzt kann er zeigen, was er mit seinen Wunschspielern zu leisten vermag.“ Gelegentlich gibt es durchaus auch Meinungsverschiedenheiten. Bertram kritisierte in diesen Wochen die Aufstellung, Votava beschwerte sich über die Sparzwänge. Nur 20 Profis stehen ihm zur Verfügung: „Wenn die ersten Verletzungen kommen und die Transferperiode Ende August ausläuft, brennt es hier lichterloh.“ Bertram kontert: „Das ist eine Geldfrage – und somit nicht sein Bier.“

Die Schadensbegrenzung: Nach der Blamage gegen Hansa waren Unions führende Köpfe um Schadensbegrenzung bemüht. Votava gab dem Team frei bis Montag, 15.30 Uhr. Erste Erholungsmaßnahmen für Körper und Geist, noch vor dem Saisonstart. „Die haben nicht alle das Fußballspielen verlernt. Ich werde nicht über meine Mannschaft herziehen“, hofft Votava. Auf Nachfragen reagierte er gereizt: „Geht das schon wieder los, alles schlecht zu machen?“ Präsident Bertram wählte eine ähnliche Taktik: „So schlecht haben wir doch gar nicht gespielt – Rostock hat nur jede Chance verwertet.“ Das war noch mehr geschönt als so mancher Bundesliga-Zusammenschnitt früher bei ran. MATTHIAS WOLF

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen