Paul Kominek alias Turner bei „bühne 03“ im Kunstverein
: Pfeile aus dem Laptop ins Herz

Liest man die netten Zeilen, die Jan Müller (Tocotronic) Turner zum zweiten Album ins Poesiealbum geschrieben hat, dann glaubt man es wirklich. Das muss ein echtes Disappearing Brother-Erlebnis – so der Titel des zweiten Turner-Albums – gewesen sein, als der Neuhamburger aus Müllers Wohnung wieder auszog. Aber ein wenig anstrengend war das Zusammenwohnen offensichtlich: „Nie erlosch das Licht des Monitors, das des Nachts aus seinem Zimmer herausschien. Zum Zivildienst gezwungen, arbeitete er immer an seiner Musik, schlief fast nie, hörte niemals Musik, sondern machte stets selbst welche.“

Mit vielen Vocalsamples und vor allem der eigenen Stimme brachte Turner – sprich: Turner, nicht Törner – seinen Mitbewohner zum Schwärmen, doch das war erst der Anfang. Mit A Pack Of Lies ist der 1978 im polnischen Glivice geborene und in Frankfurt/Main aufgewachsene Paul Kominek für das schönste Zwischen-Track-und-Song-Album des vergangenen Jahres verantwortlich, eine Platte, die wirklich jedem gefiel – und das auch noch zu Recht.

Das war „intim und ergreifend“, wie sein Hamburger Label Ladomat damals mit auf den Weg gab, aber auch Pop-Kino in Cinemascope: mit Balladen, die nicht umsonst „Hey, They Are Playing Our Song“, „Take Me Away“ oder „That Honest“ heißen. Wer will, kann all das darin hören: Depeche Mode, My Bloody Valentine, jubilierende Achtziger-Indie-Gitarren, Streicher-Arrangements, elektronischen Minimalismus, Songwritertum revisited, die Eurythmics, Liebesgesänge über knacksenden Sample-Schleifen – sogar die Gitarren aus „Killing An Arab“ und die dazugehörige Stimme Robert Smiths.

Und auch wenn das neue Album A Pack Of Lies heißt und der Unort einer Filmkulisse irgendwo am Meer die Rückseite ziert, gibt es hier keine Ironiefalle. Vielmehr elektronische Pfeile aus dem Laptop ins Herz, große Gefühle, Persönliches, Aura. Keine Frage: Turner glaubt an eine Pianomelodie, mehr noch, an den sanften Song, an das Liebeslied, an die Möglichkeit, damit die Welt zu verändern. Und sei es auch nur innerhalb der eigenen vier Wände. In Interviews spricht Kominek alias Turner folgerichtig immer wieder von Leidenschaft, Ehrlichkeit, Herz und Seele.

Also aufgepasst, House-Afficionados und andere: Turner ist kein Frickel-Elektroniker mehr – und schon gar kein Techno-Törner. Er taugt kaum für eine rauschende Nacht auf der Tanzfläche. Sowas gibt‘s im Kunstverein sowieso nicht. MARC PESCHKE

Donnerstag, 21 Uhr, Kunstverein (Klosterwall 23)