: Unter dem Pflaster liegt die Körperkunst
Kunst für Daheimgebliebene (1): Body-Art. Düsseldorf hat jetzt einen Strand und beweist: Die realen Exzesse der Körper sind besser als die Rebellion der Maschinen im Kino
Endlich mal eine gute Nachricht: Wir deutschen Großstädter können uns entspannt zurücklegen, während die mediterranen Strände von flammenden Wäldern gesäumt werden. Wir haben jetzt nämlich selbst Strände. So wie Paris schon lange einen Strand hat. Er führt zwischen Quai Henri IV und Quai des Tuileries an der Seine entlang und heißt schlicht Paris Plage. Berlin hat einen politisch verbrämten Strand, mit Blick auf den Reichstag (man hat ja schließlich einen Ruf zu verlieren). Und jetzt hat auch noch Düsseldorf einen, der hat es sogar schon bis in die „Tagesschau“ geschafft.
Das mag zum einen daran liegen, dass das „Monkey’s“ nicht irgendein Strand ist. Der temporär errichtete Affenstaat liegt an einem einige Millionen Euro werten Fleckchen am Ende von Düsseldorfs neuer Vorzeigemeile, dem weitgehend leer stehenden „Medienhafen“ mit seinen schicken bunten Bauten. Fest im Auge der Wasserpolizei liegt das umzäunte Fort an der Spitze einer Landzunge, uneinnehmbar von der Wasserseite und vom Land nur nach Body-Check in einer Holzschleuse zugänglich.
Der Düsseldorfer Kunsthändler Helge Achenbach hat mit zwei Mitstreitern den Geist der Zeit erkannt und auf dem Areal eine „gastronomisch-kulturelle Situation“ geschaffen, eine Mischung aus Biergarten, Strandbar und Trainingslager. Dieser Strand ist gegenwärtig die vielleicht beste Performance-Bühne der Republik. Die Kultur hat Sommerpause, und so finden sich auffallend viele Protagonisten der hiesigen Kunstszene im „Monkey’s“ ein – nicht ohne Grund. Schließlich findet hier eine fast vergessene Kunstform ihre neuzeitliche Wiederauferstehung: die Body-Art. Die hatte in den 70er-Jahren Konjunktur, als sich ein paar Frauen wie die feministischen Künstlerinnen Gina Pane oder Carolee Schneemann gehörige Schmerzen zufügten, um eine Rolle im Kunstbetrieb zu erkämpfen.
Was damals das Eindringen des realen Körpers in die Bildende Kunst war, ist im „Monkey’s“ sein Verschwinden im Realen, seine Wiederkehr als gemeinschaftlich vollbrachte Simulation, die im Furcht einflößenden Spaß-Modus daherkommt. Der Urlaubsleib als Dauerzustand. Metallisch überzogene Bräune, gestraffte Augenlider, Implantate, Haarteile und falsche Zähne jeden Alters sind hier mit unverhohlenem Stolz ausgestellt. Am Düsseldorfer Muscle-Beach sind die Schmerzen der Köpermanipulation versteckt und die Geschlechter endlich im gemeinsamen Willen zur Schönheit vereint. Gelitten wird zu Hause – und der Schmerz somit zum Subtext dieser verschworenen Gemeinschaft zwischen Beach-Volley und Caipirinha. Die Operationswunden und Einstichnarben sind geheilt, der Muskelkater vergangen, und jetzt endlich raus an die frische Luft mit der Körper-Skulptur.
Wen interessiert die Rebellion der Maschinen im dunklen Kino, wen die digital manipulierten Leiber der aktuellen Fotografie, wo man doch hier, ein Kaltgetränk in der Hand, in Echtzeit und scheinbar zum Anfassen eine strenge und sorgsam choreografierte Messe des Körpers beobachten kann: die neue Kunstform des Sommers.
Das Interessanteste daran ist die streng hierarchische Ordnung von Bräune und Muskeln: Je mehr von beidem, desto mehr Bühnenpräsenz. Doch auch hier gilt: Definition statt Masse. Das heißt, König der Szene ist ein namenloser Körper. Er trägt eine kunstvoll ausrasierte Irokesen-Variante mit blondierten Spitzen, Tribal-Tattoos auf den sehnigen Armen, ein rotes Netzhemd, durch das gelegentlich das (autsch!) Brustwarzenpiercing blitzt, dazu eine Armee-Hose, die eine wie mit dem Meißel gehauene Leisten- und Hüftgegend freilegt, und dort so gerade noch hält. Ganz unten gibt’s ein Paar makellose braune Füße, die rasch durch den Sand wirbeln, um Mittvierzigerinnen im teuren Designerbadeanzug mit integriertem Bauchformer Cocktails zu bringen.
Dann geht es in der Hierarchie auch schon steil nach unten. Die weniger Definierten oder größenmäßig zu kurz Gekommenen dürfen etwas abseits große Mengen an Getränkekisten rein- und rausrollen. Und die, die aus irgendwelchen Gründen den Anschluss an die Bräune der Übrigen verpasst haben, müssen hinter getöntem Schutzglas an der Servicestation Speisen frittieren. Die Rollen im rheinischen Hochamt des Leibes sind streng verteilt. Drumherum spalten sich die weiblichen Claqueure in zwei Lager: Die jüngeren versprühen Lolita-Charme mit Zöpfen und wahnsinnig kurzen Frotteeshorts, die Älteren legen eher den trainierten Bauch oder ein paar madonnaeske Oberarme frei.
Wer nur lange genug – blass, unausgeschlafen, ohne Schattenplatz – inmitten des Spektakels sitzt, kommt irgendwann zu dem Schluss: Es muss irgendwo ein geheimes „Monkey’s“-Trainingscamp geben, in dem diese Schar der Körperdarsteller herangezüchtet wird. GI-Jane war ein Witz gegen die Operation rheinischer Wüstensturm: Tarn- und Wehrklamotten jedweder Couleur, Wüstenstiefel und martialische Uhren, die in der Sonne blenden.
Man glaube bloß nicht, es ginge beim „Monkey’s“ nur um ein bisschen Strand unter dem Pflaster. Oder gar um Spaß. Das scheint auch die titelgebende Affenskulptur von Jörg Immendorff erkannt zu haben, die über alles wacht. Der Affe dreht dem Ganzen sein Hinterteil zu und pfeift drauf. MAGDALENA KRÖNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen