piwik no script img

Das Leben als Klassenfahrt

Natürlichkeit is king: Die vier netten Jungs von Virginia Jetzt! geben sich betont offenherzig. Doch mit ihrer „Hoppla, hier kommen wir“-Attitüde hat sich die Berliner Band nicht nur Freunde gemacht

von THOMAS WINKLER

Was soll man halten von Menschen, die in einem Song ihres Debütalbums fordern, „das Gebiet der Rockmusik“ mit einem „Päckchen Dynamit“ einzuebnen? Die in einem anderen Song behaupten: „Wir stellen die Weichen für neue Zeiten“, und schlussendlich noch ein selbstbewusstes Ausrufezeichen im Bandnamen spazieren tragen? Tatsächlich haben Virginia Jetzt! es geschickt verstanden, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, was schließlich zum Vertrag mit einem großen Unterhaltungskonzern führte. Seitdem kann sie mancher in der Stadt nicht mehr leiden – und das liegt nicht nur an ihrer Bombendrohung gegen „das Gebiet der Rockmusik“.

Doch wer hinter Virginia Jetzt! nun jugendlichen Größenwahn wie bei den Gallagher-Brüdern erwartet hat, der wird schnell enttäuscht: In einem Café in Friedrichshain erwarten den Journalisten bei Apfelschorle und roter Grütze nur ein paar freundliche Frühzwanziger mit ausgeprägtem Realitätssinn zum Gespräch. Es sei ihnen nicht ganz unwichtig, erklärt Bassist Mathias Hielscher, „irgendwann einmal eine richtige Rentenversicherung“ finanzieren zu können: „Wir sind nun mal Osties. Wir sind Warmduscher.“

Dabei haben die vier Warmduscher mit ihrem Debütalbum „Wer hat Angst vor Virginia Jetzt!“ demonstriert, dass sie keine Angst haben: zumindest nicht vor den eigenen Gefühlen und den Peinlichkeiten, die damit möglicherweise verbunden sind. Das beginnt mit dem Pennälerscherz als Albumtitel, von dem Gitarrist Thomas Dörschel zugibt: „Uns ist, ehrlich gesagt, nichts Besseres eingefallen.“ Und endet mit dem Text von „Die Musik von hier nach dort“, in dem die, wenn man so will, Philosophie von Virginia Jetzt! auf den Punkt gebracht wird: „Solang wir hier stehn, schreien wir es laut und raus, und das klingt so: Mein Kopf, mein Mund, mein Bauch, mein Herz klingt so.“ Es kann ihnen ganz offensichtlich gar nicht offenherzig genug werden.

„Natürlichkeit is king“, verspricht Dörschel, und im aktuellen Videoclip agieren die Väter der vier als ihre Söhne und umgekehrt. Das echte, ungebrochene Gefühl ist zurück, und in dieser Selbstentäußerung fügen sich Virginia Jetzt! passgenau in die zynismusfreie, von Authentizität geprägte Zeit, die mit dem Erfolg von Herbert Grönemeyer, Tomte und Wir sind Helden angebrochen scheint. Auch wenn Virginia Jetzt! einer sehr viel jüngeren Generation angehören.

„Der Nachtwind singt ein letztes Lied“, heißt es bei ihnen, und aus „Meergeruch und Sand“ werden „Luftschlösser“ gebaut. Manchmal kommt aber auch ein wunderschönes Liebeslied heraus wie „Dreifach schön“, das sich ganz ohne Reue von der Vorstellung verabschiedet, dass es immer die große Liebe sein muss: „Ich weiß, ohne dich wird’s auch weitergehn, aber mit dir ist es dreifach schön.“

Es sind solche Songs, die das Debüt der Band dominieren, die einst in Eberswalde gegründet wurde, bevor man gemeinsam nach Berlin zog. Man verspürt offensichtlich keinen Druck, sich sozial oder womöglich politisch relevanter Themen zu widmen, bevor man nicht die privaten Sehnsüchte ausreichend studiert hat. „Aber irgendwann“, sagt Hielscher, „ist das Leben keine Klassenfahrt mehr.“

Ganz unbescheiden formulieren Virginia Jetzt! in einem Song wie „Sie verlassen sich auf uns“ einen Vertretungsanspruch für ihre Generation. „Die Straßen sind voll, voll von uns“, hat Dörschel getextet. Jene Altersgenossen, denen Virginia Jetzt! eine Stimme geben, können sich offensichtlich nicht so recht entscheiden, was sie wollen, aber irgendwie ist es schon okay so: „Wir wissen längst, das wird nicht reichen, und dennoch setzen wir so Zeichen.“ Dörschel ist als Songschreiber der Band für die Texte im Ich-wollt-mal-sagen-Duktus verantwortlich, wundert sich aber trotzdem: „Vielen sind wir zu seicht, zu glatt, zu harmlos.“ Warum nur?

So ambivalent in ihren Aussagen, so forsch ist dagegen die Musik von Virginia Jetzt! stets auf der Suche nach der Melodie mit dem größten Wohlfühlfaktor. In ihrem Anspruch orientiert sich die Band weniger an den Sportfreunden Stiller, auf deren Label sie einst ihre ersten EPs herausgebracht haben – eher „an klassischem Pop“, wie Hielscher sagt. Sein Kollege Dörschel schreckt nicht einmal vor ganz bösen Vergleichen zurück: „Über einen guten Song von der Münchner Freiheit freuen wir uns auch.“ Immerhin aber verstecken Virginia Jetzt! ihre um Zeitlosigkeit bettelnden Melodien nicht unter sülziger Keyboard-Pappe, sondern stellen sie ganz offensiv aus – mit fröhlich scheppernden Gitarren, dem einen oder anderen Klavierfüllsel und einem stets optimistisch vorwärts hüpfenden 4/4-Takt. „Unsere Musik ist offensiv, nach vorne gehend“, sagt Hielscher, und da hat er Recht.

Geschäftlich gibt man sich vorsichtiger. Tatsächlich hat die Band jene Erfahrungen genutzt, die Hielscher in anderthalb Jahren als Praktikant in der Musikindustrie erworben hat, um Virginia Jetzt! langsam aufzubauen. Man weiß schließlich, dass der Weg zum Popstar trotz viel versprechender Ansätze „leicht in die Hose gehen kann“.

Später dann an diesem Sommernachmittag, an dem einem die Hitze leicht zu Kopf steigen kann, stehen die Jungs ein paar Meter fußabwärts vor der Konzernzentrale des Unterhaltungsriesen Universal, dem Vertragspartner von Virginia Jetzt!. Im Angesicht des schmucken Hochhauses am Ufer der Spree lassen sie dann doch ein wenig dem Größenwahn ihren Lauf. „Irgendwann einmal“, sagt Sänger Nino Skrotzki mit Blick auf den riesigen Bürokomplex, „irgendwann gehört das alles uns.“

Virginia Jetzt!: „Wer hat Angst vor Virginia Jetzt!“ (Motor/Universal)

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen