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Handel mit auratischen Werten

Ohne eine Prise Skandal geht es nicht in Bayreuth: Wofür früher die Frauenaffären von Richard Wagner und nationales Prahlen sorgten, müssen heute die eingeladenen Künstler selbst Hand anlegen. Wolfgang Wagner und der Verschleiß von Opernfremdlingen als Regisseure auf dem Grünen Hügel

Die unverkennbare Lust an gesellschaftlichen WidersprüchenPeter Emmerich betont unverdrossen: „Es wächst! Man kommt voran“

VON FRIEDER REININGHAUS

Bayreuth ist Stress. Herr Emmerich, Pressesprecher auf dem Grünen Hügel, hat recht eigentlich einen wenig beneidenswerten Job. Er muss durch breit gestreute, mehr noch durch gezielt zugeflüsterte Informationen die journalistische Begierde reizen und wach halten, zugleich die Arbeitsprozesse in der Firma Bayreuther Festspiele phasenweise vor allzu weit gehender Neugierde abschirmen. Auf keinen anderen deutschen Kulturbetrieb richtet sich weltweit und kontinuierlich ein derartiges Interesse wie auf die Richard-Wagner-Festspiele in Oberfranken. Gerade in Nordamerika, Südafrika oder finanzkräftigen Teilen Asiens gelten sie in ihrer Verbindung von Geschichtslastigkeit und Modernisierungserfolgen, von künstlerischer Weltläufigkeit und provinziellem Bratwurstmief wie nichts anderes als Ausdruck deutschen Wesens. Weltgeist und Idylle sollen, wollen, können sich – so die Projektion – dort paaren. Nirgendwo sonst wird so hingebungsvoll den Klischees gehuldigt.

Festspiel-Bayreuth – das ist saisonaler Theaterpoker und sommerliches Politiktheater aus dem Geist der angeblich deutschesten Musik mit größer oder bescheidener portionierter Skandalbeilage. So war es von Anfang an. Die finanziellen und menschelnden Machenschaften des Festspielgründers mit dem bayerischen Märchenkönig Ludwig II. gehörten ebenso zum Klappern des Geschäfts wie gezielt in Umlauf gebrachte Berichte von den Frauenaffären des Dichterkomponisten Richard Wagner, das nationale Bramarbasieren wie das Buhlen um eine damals noch keineswegs national gesinnte politische Prominenz, die antisemitischen Untertöne wie die demonstrative Beschäftigung eines devoten „jüdischen“ Dirigenten.

Hier galt der Lärm des Betriebes der Kunst – doch nie in allzu reinlicher Form. Eine gewisse Lust am virtuosen Umgang mit künstlerischen und gesellschaftlichen Widersprüchen blieb unverkennbar. Das sorgte immer wieder für etwas frischen Wind in schlaffen Segeln. Und zumindest einmal – zum 100. Geburtstag des Festivals – gelang in neuerer Zeit mit Mut zum Risiko eine richtungweisende Innovation: Der bis dato nicht musiktheatererfahrene Schauspiel- und Film-Regisseur Patrice Chéreau machte zusammen mit Pierre Boulez, der sich zuvor gegenüber dem herrschenden Opernbetrieb so feindselig geäußert hatte, den „Jahrhundert-Ring“ zur Sensation.

Bayreuth ist schön. Der Immobilie auf dem Grünen Hügel ist durch einen komplexen kulturgeschichtlichen Vorgang auratischer Wert zugewachsen. Die Gesellschaftsform der tragenden Institution aber ist privatwirtschaftlich und war es sogar in der Zeit der großen Gleichschaltung nach 1933: Staatlicher Eingriff erschien aufgrund der real existierenden Voraussetzungen nicht geboten. Auch das ist geblieben. Die Wagner-Festspiele wurden auch nach 1945 in den Händen der nur teilentnazifizierten Familie belassen.

Also weiterhin privat. Allerdings mit erheblichen staatlichen Subventionen, wodurch sich gewohnheitsrechtlich das Mit- und Durcheinandersprechen bayerischer Spitzenpolitiker und auch einiger Bundespolitikerinnen aus der dritten Reihe ergibt. Mehr noch für „die Medien“, bis hinauf zur Bild-Zeitung und zum Spiegel, der in besonderer Weise auf die deutsche Hybris der 1930er- und 40er-Jahre fixiert ist: Das Weben und Werden der künstlerisch-gesellschaftlichen Bemühungen in Bayreuth erscheint fortdauernd als die wichtigste Festwiese des Feuilletons. Da kriegt es im Frühsommer fiebernde Intrigenanfälle, große Ohren und rot geränderte Festtagsaugen. Und der arme Herr Emmerich muss die vielseitigen Hoffnungen nähren und zugleich harte Diätvorschriften durchsetzen!

Bayreuth muss also immer auch skandalumwittert sein. Da kriselt es im Zentrum des Geschehens – bei der Probenarbeit zum „Parsifal“, der Geschichte vom reinen Toren als Heilsbringer, die in der Hoffnung auf Wiederbelebung einer vergreisten Gesellschaft einem reinen Operntoren anvertraut wurde. Christoph Schlingensief hat sich brav an seine Provokateurs-Hausaufgaben gemacht, aber der Hausherr Wolfgang Wagner brachte, wie zu erwarten, seinen retardierenden Einfluss in Anschlag. Steuermann, halt die Wacht! Dass ein Theaterdirektor eine kritisch intendierte Produktion seinerseits kritisch beäugt und Korrekturen anregt, sollte der Normalfall sein und nicht skandalträchtig.

Aber die Theatergemüter sind hitzig, und schon wird davon geredet, die Anwälte seien eingeschaltet worden. Peter Emmerich aber bleibt am Telefon leutselig und betont unverdrossen, dass Schlingensief am 14. Juni die szenischen Proben aufgenommen habe: „Es wächst! Man kommt voran! Der ‚Parsifal‘ macht gute Fortschritte – es gibt keinerlei Zerwürfnisse.“ Der Pressechef des Festivals verweist auf die gütliche Trennung der Wagner-Festspiele und des dänischen Filmregisseurs Lars von Trier, der „in Würdigung von Wagners Urideen“ für 2006 einen neuen „Ring des Nibelungen“ schmieden sollte. Dann aber, wohl auch wegen unüberbrückbarer Differenzen mit dem zu Altersstarrsinn tendierenden Wolfgang Wagner, warf er das Handtuch: „Die Gründe Lars von Triers, den Inszenierungsauftrag zurückzugeben, liegen ausschließlich in seiner persönlichen Erkenntnis, dass die Dimensionen und Anforderungen dieser ‚Ring‘-Version realistisch betrachtet seine Kräfte eindeutig übersteigen würden und er sein Wollen den eigenen hohen Ansprüchen gemäß und dem besonderen Niveau der Bayreuther Festspiele entsprechend nicht verwirklichen könnte.“ Nebenbei lässt der Routinier Emmerich durchblicken, mit welchen Mitteln einer namhaften dänischen Zeitung, die diese zwischen Künstler und Betreiberseite ausgehandelte Darstellung nicht für die Wirklichkeit nehmen wollte, „das Maul gestopft“ wurde.

Auch das gehört zum Geschäft. In der Hauptsache verwertet das Unternehmen Festspiele derzeit noch ein stark gealtert wirkendes Programm der 90er-Jahre, versucht aber, für die nächste Zeit einige schrille Akzente zu setzen und für Events zu sorgen – unter Umgehung des Hauptfeldes der reputierten und ernsthaft diskutablen Opernregisseure. Was vor dreißig Jahren als qualitative Bereicherung wirkte, mutet jetzt, bei der wiederholten Wiederholung, wie Ranküne an. Es mag einem so vorkommen, als wolle der alte Fuchs Wolfgang Wagner das „eigentliche“ Terrain frei halten, bis sich seine spät geborene Tochter Katharina mit C- und B-Produktionen an der blauäugigen Donau zwischen Würzburg und Budapest so weit qualifiziert hat, dass sie die Arbeit in der Bayreuther Halle inhaltlich erfüllen kann. Einstweilen wird rechts auf der Standspur überholt. Und dazu ist der Aktionist Schlingensief mit seinem Potenzial der öffentlichen Erregung der rechte Pausenclown.

Ob der nun in den letzten Tagen ernsthaft erkrankte und sich daher für einige Tage von Bayreuth entfernte oder ob er nur ein wenig bockig war, aber durch anwaltliche Drohung zur Raison und wieder ans Regiepult gebracht wurde, mag das Thermometer der respektvollen öffentlichen Erwartung um ein Zehntel Grad ansteigen oder abschwellen lassen. Durch die schlecht beratene Geschäftspolitik der Firmenleitung sind die Wagner-Festspiele in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend aufs ästhetische Abstellgleis rangiert worden – die Innovationen fanden ebenso wie die als sensationell stimmig empfundenen Produktionen allenthalben an anderen Orten statt. Und aller Voraussicht nach wird sich dies in absehbarer Zeit auch nicht ändern. Da mag Schlingensief ein wenig mehr oder weniger aus der Oper herausstreichen oder – einer gerade grassierenden Mode folgend – ihr Übergewicht entblößen wollen: Der Erkenntnisgewinn wie der Grad der Anrührung dürfte sich in Grenzen halten.

Peter Emmerich macht seinen Job optimal. Und er liebt, so lässig er sich gibt, die geheime und offenkundige Macht, die von seinen Dementi und Informationshäppchen ausgeht: Er ist der Virtuose einer Mediengesellschaft, also Künstler ganz auf der Höhe der Zeit. Und er verkauft die eigentlich unbezahlbare Bayreuther Aura immer und immer wieder. Diese außerordentlichen Gewinne werden von der Familie Wagner privatisiert – das unternehmerische Risiko ist durch die Subventionen sozialisiert.

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