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Die Karten vom Krieg

Der Krieg und die Medien II: Ohne Landkarten von der Krisenregion kommen weder TV-Sender noch Zeitungen aus. Deren Angaben sind nach Expertenmeinung aber viel zu häufig veraltet oder fehlerhaft. Und manchmal sogar bewusst manipuliert

von CARLA PALM

Klaus Rauscher, Vorstandsvorsitzender beim Energiekonzern Vattenfall Europe AG, versuchte an diesem Tag, über sich hinauszuwachsen. Als er im April mit Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesemer für einen Tag seinen Arbeitsplatz tauschte, musste der Manager gleich in der 10-Uhr-Konferenz der Wirtschaftszeitung die Weltlage beherrschen. Am Irakthema kam man damals nicht vorbei, aber „warum brauchen wir immer eine Landkarte? Geht das nicht auch anders?“, sinnierte der Manager. Geht es nicht, warnen die Geografen Jürgen Clemens und Andreas Dittmann. Denn je nachdem, in welchem Zusammenhang Karten gestellt werden, können sie sehr viel Unheil anrichten.

Seit den Anschlägen vom 11 .September beobachten die beiden Wissenschaftler die in deutschen Printmedien veröffentlichten Karten über Süd- und Mittelasien. Ihre Ergebnisse sind alarmierend. Selbst seriöse Blätter wie der Spiegel oder die FAZ hätten ein Potenzial an kartografischen Fehlern angehäuft, das geeignet sei, die gesamte Branche zu diskreditieren. Zwar sind die Schnitzer nicht ganz so erschreckend wie etwa beim amerikanischen TV-Sender CNN, der auf seiner Europakarte die Schweiz immer mal wieder mit der Tschechischen Republik vertauscht. Aber „es werden Verkehrsstraßen angegeben, die real gar nicht existieren, und Grenzen gezogen, die so nicht verlaufen“, sagt Jürgen Clemens vom Südasien-Institut der Universität Heidelberg. Bei Afghanistan-Abbildungen beispielsweise verließen sich viele Redaktionen blindlings auf Angaben, die noch aus der der sowjetischen Besatzungszeit stammen. Besonders geärgert hat sich Clemens über eine Ausgabe des Wissensmagazins National Geographic, eigentlich für seine Präzision bekannt. Die Zeitschrift „erfand“ in einer großformatigen Kartenbeilage über Afghanistan und Parkistan das Verkehrswegenetz neu und machte aus schwer passierbaren Maultierpfaden vierspurige Autobahnen.

Viel subtiler arbeiten dem Südasien-Experten zufolge die Bild-Zeitung und der Spiegel. Zum Beleg ihrer Schlagzeilen verwenden sie überdurchschnittlich häufig thematische Karten, die sie so lange am Computer bearbeiten, bis die Landschaft schön bunt aussieht. Mit eingeklinkten Porträts Ussama bin Ladens oder militärischer Symbole wie Raketen oder Flugzeugträger, die das Zielgebiet von allen Seiten umzingeln, komponieren Grafiker am Bildschirm bunte Collagen. Bestens geeignet, unterschwellige Botschaften in den Köpfen der Leser zu hinterlassen: „Die Maßstäbe geraten aus den Fugen, und unvermeidlich drängt sich das Gefühl von der überlegenen westlichen Militärmacht auf“, so Clemens. Dahinter verberge sich nicht selten ein versteckter Eurozentrismus. Die Kartenauswahl der Redaktionen richte sich nach der heimischen Interessenslage. Mit einer an Fakten und Daten gebundenen Berichterstattung habe das jedenfalls nichts mehr zu tun.

Im schlimmsten Fall führen falsche Karten auch zu falschen Lösungsansätzen. So veröffentlichte das Nachrichtenmagazin Focus eine selbst gebastelte Karte über den „Islam und sein Verbreitungsgebiet“. Bei der Einteilung der ethnischen Gruppen ging viel durcheinander, für Indien mit derzeit 11 Prozent muslimischer Bevölkerung errechnete die Münchner Zeitschrift einen Anteil von 34 bis 74 Prozent – und die Darstellung schiitischer Siedlungsgebiete in Pakistan und in Kaschmir war irreführend oder falsch. Die verschiedenen Ethnien dürfe man auf gar keinen Fall in geschlossene Gebiete unterteilen, „die Grenzen sind fließend“, berichtigt Clemens. Die Folge: Religiöse Krisenherde sehen viel harmloser aus, als sie in der Realität sind. Die eigentlichen Probleme der Region fallen unter den Teppich beziehungsweise unter die Karte.

Dabei könnten die meisten handwerklichen Fehler vermieden werden, glauben die Wissenschaftler: wenn die Redaktionen ihr Kartenarchiv nur einmal gründlich aktualisieren und vor dem Publizieren geografischen Sachverstand einholen würden. Eine einzelne Karte bleibt eben nur eine von vielen Möglichkeiten, ein Land oder bestimmte demografische Daten wiederzugeben. Andreas Dittmann vom Geographischen Institut der Universität Bonn empfiehlt, in den über Internet zugänglichen Nationalarchiven der betroffenen Staaten nach verlässlichen Karten zu suchen. Das US-Department of Defense sei außerdem eine gute Quelle für Satellitenaufnahmen, und die UN biete auf ihrer Webseite kostenlose Karten zum Downloaden an. „So pervers es klingt, aber ich würde jetzt schon damit anfangen, gutes Material über Syrien und den Libanon zusammenzutragen“, rät Dittmann. Schließlich weiß man nie, wo der Cowboy aus Texas als Nächstes die Demokratie hintragen will. Dann hätten selbst Kriege noch einen Nutzen. „War teaches Geography“, lautet ein altes Geografen-Sprichwort.

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