: Mutmaßungen über Uwe
Uwe Johnson zum Siebzigsten: Eine Ausstellung im Brecht-Haus erinnert an den 1984 verstorbenen Schriftsteller. Zur Eröffnung ging man der Frage nach, ob er „der typische DDR-Autor“ gewesen sei
VON JAN SÜSELBECK
„Wahnsinn, das ist ja schlimmer als bei Christa Wolf!“, lacht einer. Hektisches Stühlerücken im Literaturforum: Das Brecht-Haus ist am Eröffnungsabend der Uwe-Johnson-Woche proppenvoll. Anlässlich des 70. Geburtstages des 1984 verstorbenen Autors drängen immer mehr Leute in den kleinen Saal. An der Decke pflügen zwei Ventilatoren die drückende Hitze um. Japsend sieht das Publikum einen einstimmenden Fernsehfilm, den Wilfried F. Schoeller 1991 über Johnsons mecklenburgische Romanschauplätze drehte: „In Jerichow und anderswo. Uwe Johnson und die DDR“. „Ein literarisches Erinnerungs-Territorium gerät zurück in den Blick“, erklärt die sonore Sprecherstimme und beschwört eine „Reise in die Anschauung“.
Kein Zweifel: Unmittelbar nach dem Mauerfall gedreht, repräsentiert der Beitrag den Westblick. Sanfte Kamerafahrten durch saftig blühende Landschaften künden von einer sehnenden Suche nach verlorener Heimat. Verfallene Fassaden sollen an eine im alliierten Bombenkrieg und mit der DDR-Misswirtschaft untergegangene Idylle gemahnen. Rostock, Güstrow, Klütz: Orte, die in Johnsons monumentalen „Jahrestagen“ verfremdet und zugleich authentisch beschrieben werden.
Johnson war zur Veröffentlichung seines viel beachteten Erstlings „Mutmaßungen über Jakob“ (1959) nach Westberlin übergesiedelt, hatte schließlich in New York und Großbritannien gelebt – aber der DDR-Alltag blieb eines seiner Hauptthemen. Schnell wollte man ihn deshalb in der BRD als „Dichter beider Deutschland“ vereinnahmen. Wurde man Johnson damit gerecht? Taugte er als geflüchteter Anti-DDR-Autor, als frühes Sprachrohr deutscher Wiedervereinigungssehnsucht? Keineswegs: „Damit können sie mich jagen“, schnauzte Johnson bereits 1965 in einem Fernsehinterview.
Prof. Franz Hörnigk von der Humboldt-Universität verwehrte sich in der Diskussion des Abends schroff gegen die einleitende Frage des Moderators Michael Opitz, „ob Uwe Johnson der typische, eventuell sogar der am meisten typische DDR-Autor“ gewesen sei. „Das kommt mir aberwitzig vor, das wäre geklitterte Geschichte“, dekretierte Hörnigk.
Das Leiden an der DDR sei in der DDR anders gewesen als von außerhalb betrachtet. Johnsons Blick auf die DDR sei so, wie er zu Literatur wurde, nur in der BRD möglich gewesen. Seine Bremer Kollegen Wolfgang Emmerich und Wilfried F. Schoeller schüttelten die Köpfe. Johnson könne nicht „im Niemandsland“ der Literaturgeschichte abgestellt werden, meinte Emmerich. Bis zum 25. Lebensjahr habe der Schriftsteller seine prägendste Zeit in der DDR verbracht. Seine ersten beiden Romane, „Ingrid Babendererde. Reifeprüfung 1953“ (erst 1985 veröffentlicht) und „Mutmaßungen über Jakob“ seien in der DDR entstanden: „Wenn es überhaupt eine DDR-Literatur gibt – und es gibt sie! –, gehört Johnson dazu“, behauptete Emmerich.
Der kommende Herausgeber des Johnson-Jahrbuchs, Michael Hofmann, zitierte Johnsons Aussage von 1970, er sehe sich als „eine Art DDR-Autor in der Bundesrepublik“. „Im Westen richtig angekommen ist er nie“, glaubt auch Hofmann. Er habe die DDR als Chance eines wirklichen Antifaschismus begriffen, dann aber erkannt, dass die Taten des Staates nicht immer mit der Propaganda überstimmten. Johnson habe die DDR schließlich „wie eine Braut sitzen lassen“, gleichzeitig aber auch die BRD niemals besser finden können.
Gegen Ende des Abends zeichnete sich der Konsens ab, wonach Johnsons Literatur nicht auf die deutsch-deutsche Thematik reduzierbar sei. „Sein Werk ist in der Form typisch für einen modernen Autor, aber auch voller dezidierter antifaschistischer und sozialistischer Utopien“, erinnerte Emmerich. Schließlich sei das Hauptmotiv der ersten Bände der „Jahrestage“, wie Hofmann betonte, die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, den Johnson noch als Schüler einer NS-Eliteschule erlebte.
Hofmann bezeichnete es als Johnsons „Trauma“, dass er „seinem Rassetypus nach, wie es damals hieß“, wahrscheinlich zum Teil des „NS-Führungspersonals“ erzogen worden wäre, hätten die Alliierten den Krieg nicht gewonnen. An dieser „vergessenen“ Wirklichkeit arbeite sich seine Prosa ab – samt ihrer Folgen.
„Da sind Gegenden übrig“. Uwe Johnson zum 70. Geburtstag, bis 30. 7., Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, Mitte
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