: Hohelieder auf die Bruderschaft
Preiset Cheikh Ahmadou Bamba! Mit „Egypt“ hat der senegalesische Popstar Youssou N’Dour ein akustisches und tief religiöses Album aufgenommen. Für sein Publikum zu Hause nichts Außergewöhnliches. Denn in Westafrika liegen Popmusik und Islam ohnehin weit näher beieinander als anderswo
VON MAX ANNAS UND DOROTHEE PLASS
Senegal und Ägypten liegen an zwei entgegengesetzten Enden der großen Wüste Sahara und scheinen auf den ersten Blick so viel nicht gemeinsam zu haben. Allerdings hat der Historiker und bedeutendste Intellektuelle des Senegals im 20. Jahrhundert, Cheikh Anta Diop, Ägypten stets als Wiege der Zivilisationen Afrikas und der Welt beschrieben und so dem Land der Pharaonen auch im Senegal einen besonderen Ruf verschafft. Und er hat die Trennung der Länder nördlich und südlich der Sahara negiert.
Youssou N’Dour schließt sich daran an: „Ich sehe Afrika als ein Gebiet, das den Maghreb einschließt. So gesehen, wollte ich einfach eine panafrikanische Platte machen.“ Panafrikanismus? Das alte Schlagwort, einst ein antiimperialistischer Entwurf gegen die Macht des Nordens, war in den letzten Jahrzehnten im politischen Alltag zum billigen Zitat verkommen. Zuletzt führte ausgerechnet Muammar al-Gaddafi das Wort im Munde, um für Libyen als Sitz des Parlaments der Afrikanischen Union zu werben. Und nun Youssou N’Dour?
Viele große Popstars aus Afrika haben sich in den vergangenen Jahren an akustisch gefärbten Alben versucht. Salif Keita hat es vor zwei Jahren mit dem Album „Moffou“ vorgemacht, Kasse Mady tat es ihm nach, und demnächst folgt ihm sein ehemaliger Rail-Bandmate Mory Kante.
Mit seinem neuen Album „Egypt“ hat nun auch Youssou N’Dour seinen Beitrag dazu geleistet, dass die Keyboard- und Hi-Tech- Schlagzeug-Artisten in Paris bald ihre Jobs verlieren. Anders aber als seine Kollegen, hat der 45-jährige N’Dour auf seinem neuen Album aber auch einen inhaltlichen Wechsel vollzogen. „Egypt“ ist eine tief religiöse Platte, die den Mouriden und anderen islamischen Bruderschaften im Senegal huldigt; eingespielt mit einem ägyptischen Kammerorchester.
Dass Youssou N’Dour die Führer der Mouriden porträtiert, der wichtigsten Bruderschaft, entspricht deren Stellenwert im Senegal: Kaum einen Wohnraum gibt es dort ohne das Konterfei eines der geschätzten und geehrten Vorbilder; man lebt mit ihnen und weiß über ihr Leben Bescheid. So verweist „Egypt“ auf eine lokale Spielart des Islam, und die feinsinnige Streichmusik von Fatih Salamas Orchester hilft dabei über die große Weite der Sahara hinweg.
Popmusik hat in Afrika ohnehin einen ganz anderen Klang als in Europa. In den Ländern der späten Unabhängigkeit wie Simbabwe oder Guinea-Bissau war sie stets Teil des politischen Kampfes. Zur gleichen Zeit begleiteten in den schon unabhängigen Ländern die wichtigen Tanzcombos den Umbruch in den neuen Nationalstaaten: Bembeya Jazz huldigte in Guinea dem Präsidenten Sekou Touré, das Orchestra Baobab aus dem Senegal sang – auch – über Religion und religiöse Themen. Denn der Islam war und ist in dem kleinen westafrikanischen Land bis heute ein wichtiger sozialer Kitt.
„Ich glaube, dass der Islam sich schöpferischer Mittel wie der Musik und des Kinos bedienen muss“, erklärt Youssou N’Dour seinen Ansatz, „um besser verstanden zu werden. Ich sehe mich aber nicht als Anwalt der Religion. Ich bin zwar ein gläubiger und praktizierender Muslim, aber ich schaffe ein musikalisches Werk. Und durch dieses musikalische Werk spreche ich von den Wirklichkeiten, die ich rund um die Religion wahrnehme.“
Sehr viel anders hätte Ndiouga Dieng, einer der Sänger von Orchestra Baobab, es vor mehr als 20 Jahren auch kaum gesagt, wenn er nach dem Text von „Werente Serigne“ gefragt worden wäre. Das Stück, auf der legendären und jüngst wieder veröffentlichen CD „Pirates Choice“ vertreten, rät dem Publikum, sich von religiösen Zwisten fern zu halten und die religiösen Führer zu achten.
Diengs kurzzeitiger Bandkollege Thioné Seck, Baobab-Mitglied in der Mitte der Siebzigerjahre, schrieb für die Band einen der anrührendsten Songs der senegalesischen Popgeschichte: „Bamba“, eine Ode auf Cheikh Ahmadou Bamba.
Cheikh Ahmadou Bamba ist der Säulenheilige des Mouridismus, der wichtigsten Variante des senegalesischen Islam. Er hat gegen den Kolonialismus gekämpft, seine Geburtsstadt Touba, 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Dakar gelegen, gilt als heilige Stadt des Landes und ist gleichzeitig die am schnellsten wachsende Stadt Westafrikas.
Auch Youssou N’Dour widmet gleich zwei seiner acht Tracks auf „Egypt“ dem 1927 gestorbenen Religionsführer, dazu noch eins der Stadt Touba sowie ein weiteres dem engsten Kompagnon Bambas, Cheikh Ibra Fall. Dem afrikanischen Popstar ist es wichtig, „Egypt“ in der senegalesischen Tradition zu erden. „Alle haben Cheikh Ahmadou Bamba besungen, so ist das bei uns. Er ist ein Führer, er ist für die Gesellschaft sehr wichtig, man singt von ihm und dankt ihm. Es hat immer Musik zu Ehren Ahmadou Bambas gegeben. Aber ich glaube, wir haben zum ersten Mal etwas anderes gemacht mit der eher akustischen Herangehensweise, die das religiöse Thema sehr nahe bringt.“
Mit ihrem Rückgriff auf religiösen Themen stehen die großen Popstars des Senegal, die die Tanzflächen und Verkaufsstände über Jahrzehnte dominiert haben, nicht allein da: Auch die zahllosen HipHop-Combos Dakars greifen das Thema auf, spielen aber anders damit. Sie gehen kritischer um mit den Würdenträgern, reden über Machtmissbrauch und die fatale Verquickung von Religion und Politik. So weit geht Youssou N’Dour nicht – obwohl man das Album durchaus als Kommentar zu 9/11 verstehen kann.
Im Senegal ist „Egypt“ schon vor ein paar Monaten erschienen, allerdings unter einem anderen Titel. „So willkommen wie ein klassisches Pop-Album war die CD nicht“, gibt der Sänger zu. „Aber ich glaube, nach einer Zeit merkten die Leute auf, und jetzt reden sie viel über die Platte. Ich glaube, alle warten auf ein Konzert dazu.“
Youssou N’Dour: „Egypt“ (Nonesuch)
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