: Karmänner mit Wut im Bauch
1.390 weitere Mitarbeiter entlässt der Osnabrücker Autobauer Karmann Mitte Mai. Auch längjährig Beschäftigte bekommen keine Abfindung. Die Opfer der vorigen Entlassungswelle werden nach einem Jahr Transfergesellschaft gerade arbeitslos
VON ANNE REINERT
Die Stimmung beim Fahrzeugbauer Karmann in Osnabrück ist gestern auf dem Nullpunkt angekommen. „Ich hab’ die Schnauze voll“, war der häufigste Kommentar der Fahrzeugbau-Mitarbeiter, als sie nach einer Versammlung mit dem Aufsichtsrat durch das Werkstor kamen. Kein Wunder: Gerade hatten sie erfahren, dass sie bei ihrer Entlassung keine Abfindung bekommen.
„Ich habe so eine Wut im Bauch“, ärgert sich Ulrich Rahenbrock, der 34 Jahre bei Karmann gearbeitet hat. Mitte Mai wird für den Vater von zwei Kindern Schluss sein. Dann wird die Fahrzeugproduktion eingestellt. Den 1.390 Mitarbeitern des Fahrzeugbaus droht dann die Arbeitslosigkeit. Trotz der geplanten Transfergesellschaft sind die Aussichten nicht gut. Schließlich entlassen auch andere Unternehmen oder stellen auf Kurzarbeit um.
Im September hatte es noch geheißen, dass die Produktion bis August weiter gehen werde. Nach einer Aufsichtsrats-Sitzung war aber vorgestern durchgesickert, dass die Produktion des Mercedes CLK Cabrio schon Mitte Mai eingestellt wird. Dass die Entlassenen nicht einmal eine Abfindung bekommen sollen, erfuhren sie erst gestern. „Das ist eine Frechheit“, findet Rahenbrock.
„Die Empörung ist verständlich“, sagt Hartmut Riemann, Chef der IG Metall in Osnabrück. Schließlich gehe es um die Mitarbeiter, die am längsten bei dem Fahrzeugbauer beschäftigt waren. Viele von ihnen haben eine Familie und ein Haus. „Für sie ist die Abfindung nicht nur ein Zubrot, sondern bitter notwendig, um einigermaßen über die Runden zu kommen“, erklärt er. Riemann fordert, dass die Gesellschafter die Abfindungen aus ihren „Privatschatullen“ bezahlen. Schließlich hätten sie ihren Reichtum den Beschäftigten zu verdanken. Die jetzt entlassenen Mitarbeiter seien „das Rückgrat für das Erfolgsmodell Karmann“ gewesen, sagt Betriebsrats-Chef Wolfgang Smolinski.
Die nun geplante Transfergesellschaft soll eine Laufzeit von zwölf Monaten haben. 85 Prozent ihres Nettoeinkommens bekommen die Entlassenen in dieser Zeit. Ob sie danach Perspektiven haben, ist fraglich. Das zeigt das Beispiel des im letzten Jahr entlassenen Gabelstaplerfahrers, der während der Versammlung vor dem Werkstor auf seine ehemaligen Kollegen wartet: Nach der Entlassungswelle im letzten Jahr wurde auch er in einer Transfergesellschaft aufgefangen. Seit einem Monat ist er arbeitslos. Chancen auf einen neuen Job sieht er nicht. Doch das beschäftigt den 49-jährigen Junggesellen weniger. Wehmütig blickt er auf seine ehemalige Arbeitsstätte und sagt: „Das war wie eine Familie für mich.“ Jedes Büro, jedes Zimmer habe er in 29 Jahren kennengelernt.
Diese Trauer haben die Noch-Mitarbeiter des Fahrzeugbaus noch vor sich. Sie sind erst einmal wütend und frustriert. Einigen gelingt es noch, mit Galgenhumor auf ihre Lage zu reagieren: „Der hat noch eine Abfindung bekommen“, witzelt ein Mittvierziger, als er einen Kollegen mit einer großen Sporttasche sieht. Die meisten aber verlassen schweigend und mit starrem Blick das Gelände; viele sogar, bevor die Versammlung zu Ende ist. Es gebe doch nichts Neues mehr zu erfahren, meint ein 57-Jähriger. „Man wird einfach in ein Loch gestoßen“, beschreibt er seine Ohnmacht.
Für die 1.150 Beschäftigten, die in den Abteilungen für Cabrio-Dachsysteme und Fahrzeugentwicklung arbeiten, geht es allerdings weiter. Sie sollen Karmann zukunftsfähig machen. Das kostet das Unternehmen 30 Millionen Euro, die als Kredit aufgenommen werden müssen. Die Mitarbeiter der verbliebenen zwei Säulen sollen den Betrag in den kommenden Jahren erwirtschaften.
Ulrich Rahenbrock glaubt nicht an diesen Plan. Das Geld sei doch bisher immer über den Fahrzeugbau reingekommen, sagt er. Er macht sich erst einmal auf den Weg zur nächsten Versammlung an diesem Tag. Die Belegschaft will sich treffen, um über ihr weiteres Vorgehen zu beraten. Streik werde es wohl nicht geben, schätzt Rahenbrock. „Mercedes freut sich doch nur, wenn jetzt noch weniger Autos produziert werden“, sagt er.
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