: Politische Psychonauten
Gestern ging in Berlin der erste umfassende Kongress zur Drogenforschung zu Ende – ein Forum für Experten und Politaktivisten. Eine Erkenntnis: Cannabis wird in Deutschland so bald nicht legalisiert
von CHRISTOPH RASCH
Der Botanische Garten im Süden Berlins ist ein Fest für die Sinne. Gleich hinter dem Kassenhäuschen schnuppert ein älteres Steglitzer Pärchen vorsichtig an einem mannshohen Gewächs, dessen lange, blassgelbe Blütenkelche über dem Gehweg baumeln. Exponate wie die Brugmansia suaveolens, Engelstrompete genannt, ziehen aber noch ganz andere Pflanzenfreunde in ihren Bann. Denn, warnt etwa die Vergiftungszentrale einer Uniklinik, schon kleinste Mengen können zu heftigen Halluzinationen führen.
Doch über psychoaktive beziehungsweise „entheogene“ Wirkungen wie diese wollen die 250 aus ganz Deutschland angereisten Besucher, die sonst nicht zum Stammpublikum des Botanischen Gartens gehören, mehr erfahren: Wie etwa wird Cannabis in der Medizin eingesetzt? Wie verändert sich Musik unter Drogeneinwirkung? Was hat Harry Potter mit der Suche nach der psychedelischen Welt zu tun? Und: Was bedeutet eigentlich „entheogen“?
„Entheogen heißt: das Göttliche zum Sprießen bringen“, sagt Markus Berger. In seinem mit kleinen bunten Pilzen bedruckten Hemd geht Berger ein bisschen unter im Hörsaal des Botanischen Museums. Der wurde mit Pappmachégewächsen, Schwarzlichtröhren und neonfarbenen Fantasiebildern nicht nur reichhaltig, sondern auch arg klischeehaft dekoriert.
„Immer mehr Menschen suchen vor allem das Spirituelle im Drogenkonsum“, sagt Berger. Da sei ein großer Boom im Anmarsch. Markus Berger, Autor und Mitherausgeber des Fachblatts Entheogene Blätter, will deshalb Antworten liefern. Der von ihm organisierte Kongress „EntheoVision“ wurde zum wissenschaftlichen Parforceritt durch das Gebiet der Drogenforschung.
14 Referenten – Wissenschaftler, Buchautoren und Szeneaktivisten – erklärten zwei Tage lang Substanzen, erläuterten die Wirkungen auf Körper und Wahrnehmung und dozierten über die strafrechtliche Praxis. Dabei deklinierten die Experten die ganze Palette der einschlägigen Substanzen: Von „magischen“ Psilocybinpilzen und der „Hexenwurzel“ Alraune über LSD, Cannabis und Ecstasy. Nur für Alltagsdrogen wie Zigaretten oder Kaffee hatte sich kein Referent gefunden.
Die öffentliche Wahrnehmung in Sachen Drogenkonsum habe sich gewandelt, vermelden die Fachleute. Nicht mehr Haschisch ist der große Aufreger in den Medien und Sonntagsreden, stattdessen füllen prominente Kokser die Schlagzeilen. „Voyeuristische Diskussionen beherrschen die öffentliche Auseinandersetzung“, sagt Tilmann Holzer. Der 28-Jährige ist Vorsitzender des Vereins für Drogenpolitik, der weiche Drogen wie Cannabis – und ihre Konsumenten – entkriminalisieren will.
Fortschritte kann Holzer dabei allerdings kaum erkennen. Zwar herrsche in der politischen Debatte eine Art „Burgfrieden“, sagt er, doch diese „Normalität“ sei trügerisch. Noch immer würden pro Jahr rund 200.000 Cannabisfälle strafrechtlich verfolgt, teils sogar – wie das Beispiel Führerscheinentzug zeige – vehementer als noch vor Jahren.
Auch eine bundeseinheitliche Regelung zur Festlegung der so genannten geringen Menge gebe es knapp zehn Jahre nach einem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht. „Diskussionen um eine Cannabislegalisierung wie in Kanada oder der Schweiz sind in Deutschland noch immer undenkbar“, sagt Tilmann Holzer.
Der „EntheoVision“-Kongress wurde denn auch mehr eine Nostalgieveranstaltung für Althippies in Goa-Shirts (auch die gab es hier) oder junge Raver, die antiquarische Standardwerke von Drogenpäpsten wie Timothy Leary erstehen wollten. Auch durch die zeitliche Nähe zur Berliner Hanfparade erhielt die „Fachtagung für Psychonauten“ einen starken politischen Akzent und wurde zur Plattform für Szeneaktivisten wie Tilmann Holzer oder seinen Kollegen Georg Wurth. Auch der 30-jährige Geschäftsführer des Deutschen Hanf-Verbandes sieht einen Stillstand in der politischen Cannabisdebatte. „Die Hanfparade ist keine politische Provokation mehr“, sagt er. Und so rumorte es auf dem Kongress, irgendwie sei „das ganze Hanfthema doch entpolitisiert“ und seien Änderungen im Gesetz nicht zu erwarten – trotz vorgesehener „Prüfung“ im rot-roten Berliner Koalitionsvertrag, trotz einer ersten gerichtlichen Cannabisfreigabe aus medizinischen Gründen.
Themen, über die in den „entheogenen“ Kaffeepausen viel diskutiert wurde, im Botanischen Garten, zwischen psychoaktiven Pilzen wie dem „Spitzkegeligen Kahlkopf“ auf der Dialeinwand und Engelstrompeten im Blumentopf.
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