nebensachen aus peking: Chinas Fußballnachwuchs oder Wie man erfolgreich aus der Reihe tanzt
Hao Haidong ist Chinas berühmtester Fußballspieler. Mit 41 Toren ist er der Rekordschütze der chinesischen Fußballnationalmannschaft. Er hat sogar in England bei Sheffield United gespielt, was er aber nicht mehr tut. Jetzt ist er mit 38 Jahren zu alt zum Spielen und begleitet dafür jeden Sonntagmorgen seinen zwölfjährigen Sohn Jerry zum Spiel. Er trägt dann immer einen schwarzen Trainingsanzug, und vor dem Spiel zeigt er manchmal seine Tricks.
Ich kann dabei zugucken. Denn seit diesem Januar spielt Jerry in einer Mannschaft mit meiner Tochter Lea. Sie spielen in Pekings erster, in diesem Jahr neu gegründeter internationaler Jugendmannschaft beim Spitzenklub Guoan. Deshalb stehe ich nun sonntags neben Hao Haidong und feure dieselbe Mannschaft an.
Gestern hat das allerdings nicht geholfen, da haben wir 2:5 verloren. Am Ende hat Jerry sogar geweint, weil der Vater mit ihm so unzufrieden war. Dabei hatte der Trainer in der Pause eine Rede gehalten, dass nicht wichtig sei, was die Eltern am Spielfeldrand sagen. Er hatte dabei nicht mich, sondern Hao gemeint, der die Niederlage nicht so gut ertrug.
Trotzdem hätte Lea nach dem Spiel gern ein Autogramm von Hao gehabt. Ihn kennt jeder in China, und sie hätte damit in der Schule bei ihren chinesischen Freundinnen angeben können.
Doch Hao war wie der Blitz verschwunden. Wir sahen ihn aber noch mal wieder, im silbernen 745er BMW, den seine Frau fuhr. Jerry saß auf der Hinterbank. Wir winkten zum Abschied. Die Frau winkte zurück, ihre Männer nicht.
Plötzlich haben wir also Kontakt zur gewöhnlich unerreichbaren chinesischen Sportlerelite und ihren Kindern. Als Verteidigerin musste Lea gestern den Sohn der chinesischen Olympiasiegerin von 1996 im Kunstspringen bewachen. Die berühmte Frau wohnt jetzt in Hongkong, aber sie schickt ihren Kleinen aufs Pekinger Fußballinternat von Guoan. Dort muss er nun jeden Tag trainieren. Aus ihm soll einmal ein Profifußballer werden.
Nur wer besonderes Talent habe, werde in das Internat aufgenommen, erzählte gestern eine Fußballmutter. Vermutlich wurde unsere internationale Mannschaft im Verein auch deshalb gegründet, um den Internatskindern geeignete Spielpartner zu bieten.
Ob das die richtige Gesellschaft für Lea ist? Die Jungs entwickeln bereits Allüren. Sie weinen nicht nur, sie fallen theatralisch hin und spielen so selbstverliebt und egoistisch, wie man das sonst eher von westlichen Kindern erwarten würde. Aber je individualistischer und mannschaftsundienlicher ihr Spiel, desto entzückter die Eltern. Ich kann sie verstehen. Es ist in China wirklich schwer, aus der Masse hervorzustechen. Fußball aber gilt als ein westliches Spiel, in dem die Chinesen mit ihrer Disziplin immer versagt haben. Also ein scheinbar idealer Sport, um chinesische Kinder erfolgreich aus der Reihe tanzen zu lassen.
Auch die Umgebung dafür stimmt. Guoan lässt die Kleinen im Olympischen Zentrum vor der imposanten Kulisse des neuen Pekinger Olympiastadions spielen. Hier können sie gleich von Goldmedaillen träumen.
Nur gut, dass es im Fußball auch noch um andere Dinge geht. Lea fehlt die Aggressivität der Jungs, aber sie passt den Ball schnell und sicher. Sie spielt mannschaftsdienlich. Dafür hat sie ihr neuer Trainer Cao Wei denn auch sofort aufgenommen. Eigentlich spielt sie wie die einzige Chinesin im Team, und das ist – als einziges Mädchen unter all den Jungs – vermutlich auch ihre einzige Chance. GEORG BLUME
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