standbild: Wilde Greise auf der Reise
„Taxi nach Capri“ (Fr., 21.45 Uhr, ARD)
Alte Menschen mit starren Hälsen eignen sich immer gut als Reportagethema. Leicht ist es nämlich „In dem Alter!“ auszurufen und den Kopf über die wilden Greise zu schütteln.
Elisabeth Kirchner ist auch so eine. Rüstige 88 Jahre alt, und seit 12 Jahren – mit krankheitsbedingter zweijähriger Pause – bestellt sie einmal im Jahr ihren Lieblingstaxifahrer samt Wagen, um mit ihm 1.200 km nach Capri zu brettern. Eine Woche dauert die Fahrt für den dreitägigen Luxusaufenthalt in der Perle des Mittelmeers, und Taxifahrer Hans Wiegner kennt die Launen der alten Dame, besorgt gleichmütig die gewünschte Suppe und lässt sich im Übrigen von der Großgrundbesitzertochter behandeln wie … nun, wie eben einen Taxifahrer.
Eine nicht gerade sehr sympathische Zweckgemeinschaft haben sich die Autoren Christian Gramstadt und Christian Weisenborn für ihren Film ausgesucht. Die geizige und spitzzüngige Frau Kirchner scheucht Fahrer, Bedienstete und Angestellte von Pontius zu Pilatus, lässt sich ab und an zu bourgeois-rassistischen Bemerkungen herab („Der wollte gerade fast kein Trinkgeld, das kennt man ja gar nicht vom Italiener“) und macht im Großen und Ganzen einen fundiert zickigen Eindruck. Und der gutmütig bis trottelige 64-jährige Fahrer scharwenzelt um sie herum, steckt ein und kassiert 1.500 Euro für die zwei Wochen Greisenreise.
Das ist auch das größte Problem des kurzen Films: Bestimmt war die Idee, nette Oma fährt trotz Alter, Krankheit und Strapazen immer wieder per Gelbauto mit Chauffeur ins geliebte, gelobte Italien, als Theorie berückend. In der Praxis scheitert die Dokumentation an einerseits langweiligen, weil üblichen filmischen Mitteln, zu viele Off-Kommentar, zu wenig Hintergrund der Protagonisten. Und andererseits an den fehlenden Gefühlen: Begeisterung für die absurde Idee der Seniorin, amüsierte Akzeptanz will sich angesichts ihres Verhaltens einfach nicht einstellen. Hätte der Film das, nämlich die problematische Halsstarrigkeit der Dame, als Thema gewählt, dann hätte er vielleicht funktionieren können. So bleiben Em- und Sympathie auf der Strecke nach Capri liegen. JENNI ZYLKA
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