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Wiederbelebung erfolgreich

Vor zwei Jahren brannte das interdisziplinäre Bremer Kulturzentrum „Haus im Park“ ab. Morgen ist Richtfest für den Neubau. Gefeiert wird im Zirkuszelt

Sachlichkeit und Transparenz prägen die kubisch angeordneten Räume des Neubaus Künftig soll Forumscharakter des interdisziplinären Kulturzentrums dominieren

aus BremenJAN GRUNDMANN

Die Kultur. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2001. Das „Haus im Park“ ist auf dem Weg, neue Grenzen auszuloten, zwischen Kultur und Wissenschaft, zwischen Psychiatrie und Politik. Die Kultureinrichtung des Bremer Zentralkrankenhauses Ost (ZKH) aber überlebt die Nacht zum 29. November in jenem Jahr nicht – sie geht in Flammen auf. Ein „Nomadendasein“ beginnt, so Leiter Stefan Uhlig, Veranstaltungen werden auf den Randbezirk Osterholz verteilt. Nun, knapp zwei Jahre später, steht der Rohbau für das neue Haus mit seinem interdisziplinären Ansatz. Morgen ist Richtfest.

Ein Grund zu feiern, dachten die Leiterinnen und Leiter der Einrichtung und begrüßen den Rohbau jetzt mit einem fünftägigen bunten Programm. Im provisorischen „Zelt im Park“ zeigen die Macher bis Sonntag einen Querschnitt ihres vielfältigen Kultur-Konzeptes. Ein Höhepunkt ist der Auftritt von Günter Lamprecht. Über seine Kindheit in der NS-Zeit liest der Schauspieler heute Abend aus der Biographie Und wehmütig bin ich immer noch.

Der Rohbau deutet an, wie das Gebäude zur offiziellen Eröffnung am 1. September 2004 aussehen wird: Viel Luftigkeit und Transparenz zwischen den Veranstaltungsräumen, die kubisch angeordnet sind. Viele Elemente des Vorgängers, des 1904 erbauten Jugendstilhauses, wurden im 2,6-Millionen-Neubau übernommen. Empore, Küchentrakt und Foyer sind größer. Der Neubau ist recht klotzig geworden, eckig mit Flachdach. Ästhetisch kein großer Genuss. Aber funktional: Er ist fast doppelt so groß wie der Vorgänger. In den großen Saal passen jetzt 430 Besucher, vorher nur 250. Das Herzstück der Kultureinrichtung sei „frei bespielbar“, lobt Leiter Uhlig. Keine feste Bestuhlung, keine feste Bühne mehr – ideal für das weite Kulturkonzept.

Neu sei vor allem der „Forumscharakter“ des Neubaus, sagt Uhlig und meint damit die flexible Bühne und die „offene, sachliche Atmosphäre“. Hier will man verstärkt debattieren und dabei soziale, kulturelle und politische Fragestellungen aufgreifen. Einen Vorgeschmack bietet die neue Diskussionsrunde „Haus im Park aktuell“. Sie tagt erstmals am Sonnabend zu „Gesundheit und Geld“. Allerdings ohne die üblichen Wir-haben-kein-Geld-mehr-Argumente, verspricht Uhlig: „Wir versuchen alternative Positionen aufzugreifen.“ Zugegeben, das klingt etwas spröde – ist es aber nicht. Anschaulicher vermittelt sich das interdisziplinäre Konzept beim Blick in die benachbarte „Galerie im Park“. Die Ausstellung Der Medizinschrank zeigt historische Arzt-Utensilien. Bremer Künstler sollten sich mit den medizinischen Exponaten auseinander setzen. Karen Koltermann etwa schnappte sich ein Sauerstoffgerät und beatmete harmlose Passanten. Festgehalten hat sie die Reaktionen auf Video, die in der Galerie bis 12. Oktober zu sehen sind. Zudem beschäftigen sich viele Ausstellungen und Projekte der Kultureinrichtung mit Psychiatrie-Patienten des ZKH Ost, leisten Aufklärung über Krankheiten, die sonst hinter dicken Mauern verschlossen werden.

Rückblick. 1987 hatten Leiter Uhlig und sein Team das Jugendstilgebäude unter ihre Fittiche genommen, das bis dato nur als Betsaal diente. Sie weiteten Kulturangebot und Kulturbegriff stetig aus. Im November 2001 wurden brennende Adventskerzen dem Haus zum Verhängnis. Die Flammen vernichteten 80 Prozent der Bausubstanz. Zwei Millionen Euro zahlte die Versicherung, zusätzlich kamen 600.000 Euro von der Stiftung Wohnliche Stadt. Den Neubau entwarf der Bremer Architekt Ulf Sommer. Im März dieses Jahres begannen die ersten Betonmischer zu rühren.

„Kulturzentrum für den Bremer Osten“ nennt Uhlig die Aufgabe des Hauses. Dabei „wollen wir nicht zu Tode amüsieren, sondern auch Inhalt bieten“, ergänzt Achim Tischer von der Kulturabteilung der Klinik. Information, Bildung und Unterhaltung – der selbst verfasste Kulturauftrag wird konsequent umgesetzt, wie ein Blick ins „Zelt im Park“-Programm zeigt. Unter dem provozierenden Titel „Gewalt macht Spaß“ diskutierte gestern Abend Publizist und Psychoanalytiker Micha Hilgers mit dem Publikum Möglichkeiten der Gewaltprävention. Zur „Performance-Nacht“ wird morgen Abend der gesamte Park zur Bühne von Aktionskünstlern.

Park des ZKH Ost, Bremen. Günter Lamprecht liest aus Und wehmütig bin ich immer noch: Do, 11.9., 20 Uhr; Performance-Nacht: Fr, 12.9., ab 20 Uhr; So, 14.9.: Familientag ab 11 Uhr

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