Kunstrundgang: Harald Fricke schaut sich in den Galerien von Berlin um
„Rock’n’Roll will never die“, seufzte der Mythos, bevor ihn die Popkultur ins Museum schickte. Dort hängen sie nicht schlecht, die Fender Stratocasters, Les Pauls und BC-Rich-Äxte, zur Anbetung aufgebahrt. Nebenan schüttelt Jimmy Page seine filigranen Melodiefiguren für den Soundtrack „The song remains the same“ aus dem Handgelenk. Wer jetzt noch eine halbe Stunde vor der Großbildprojektion in der Ausstellung „Stromgitarren“ im Technikmuseum ausharrt, wird „Stairway to Heaven“ ernten – noch einen Untoten im Namen von Rock’n’Roll eben.
Auch Kevin Schmidt hat sich für seine Videoinstallation im Foyer des Arsenal-Kinos den beliebten Gassenhauer von Led Zeppelin vorgeknöpft. Als Grunge-Typ im Parka sieht man den 1973 im kanadischen Vancouver Geborenen am Strand stapfen. Es ist angerichtet: Direkt am Meer stehen Marshall-Türme und Verstärker; Schmidt muss nur noch den Stromgenerator anwerfen, die Fender umschnallen, dann beginnt er zu zupfen: der verminderte D-Moll-Griff, das hell singende C, der Abgang über den C7-Akkord, da ist es wieder, „Stairway to Heaven“, dem Pathos-Rock-Bolzen der Siebzigerjahre. Schmidt hat kräftig geübt. Er spielt in vollen acht Minuten Länge sämtliche Riffs runter, spart nur die Solo-Parts aus. Ein Video-Denkmal des Rock? Eher ein Monument in Sachen Kitsch: Im Hintergrund senkt sich bordeauxrot brennend die Sonne über Vancouver Island, weiß schabt die Gischt an der Küste. Schnell entwickelt man sentimentale Gefühle bei so viel Freiheitsversprechen, will gerne an sorglose Zeiten glauben, als selbst die alten Säcke von Led Zeppelin noch für ein bisschen authentisches Aufbegehren standen. Aber aus Sicht der Kunst ist Schmidts „Long Beach Led Zep“ kein knuspriger Retroschinken, sondern ein Stillleben – ein nature morte gewordener Loop.
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