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Illusionen aus Stein

Eine Unbehauste, die nur in sich selbst zu Hause war, ein elbisches Wesen: Die Künstlerin Anna Mahler in einer von Barbara Weidle und Ursula Seeber herausgegebenen Monografie

Ihre vier Ehemänner und diverse Liebhaber suchte sie vorzugsweise unter Literaten und Musikern. In zahllosen Lebenskrisen bildete sie ein starkes Persönlichkeitsprofil aus, das ihre Zeitgenossen faszinierte. Elias Canetti hat ihr in seinen Erinnerungen „Augenspiel“ ein treffendes Denkmal gesetzt, indem er schrieb: „Sie bestand nur aus Augen, was immer man sonst in ihr sah, war eine Illusion.“ Hilde Spiel nannte sie eine „schöne Hexe, ein elbisches Wesen“. Ihre große und stets gleich bleibende Liebe jedoch galt dem kalten Stein, aus dem sie gültige Porträtbüsten zu schlagen verstand. Der Zugang zur Prominenz eröffnete sich ihr durch ihre Herkunft, die sie allerdings in gleicher Weise auch belastete.

Ihre Eltern waren das musikalische Genie Gustav Mahler und die geniale Alma, bekannt und berüchtigt als Witwe der vier Künste: Musik, Malerei (Kokoschka), Architektur (Gropius) und Literatur (Werfel). Weil Mahler bereits starb, als die 1904 geborene Anna sieben Jahre alt war, wurde die Mutter zum Rollenmodell, an dem sie sich ein Leben lang abarbeitete. So wurde die Tochter der beiden zur Unbehausten, die, wie sie ihrem Tagebuch anvertraute, nur „in (sich) selbst zu Hause“ war, ein Zustand, der für viele in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts symptomatisch werden sollte. Aus Wien floh sie vor ihrem ersten Mann, den sie als Minderjährige geheiratet hatte, in das Berlin der Zwanzigerjahre. Hier lernte sie ihren zweiten Ehemann, den Komponisten Ernst Krenek, kennen, der durch die Oper „Jonny spielt auf“ zu Weltruhm gelangte. Nach der Trennung von Krenek wandte sich Anna entschieden der bildenden Kunst zu, studierte in Rom bei de Chirico, in Paris und später bei Fritz Wotruba.

1930 heiratete sie den jüdischen Verleger Paul Zsolnay, 1937 nahm sie mit ihrer Plastik „Die Stehende“ an der Pariser Weltausstellung teil. Vor den Nazis floh sie nach England und dann nach Amerika. Während die Mutter und die Großeltern Moll an einem dumpfen Antisemitismus festhielten, wurde Anna Mitglied einer kommunistischen Emigrantenorganisation. Der Krieg endete für sie mit weiteren Irrfahrten und Beziehungsproblemen. 1988 stirbt Anna Mahler in London.

Für die vorliegende Monografie haben die Herausgeberinnen Interviews mit Weggefährten geführt und Autoren verschiedener Sachgebiete gewonnen. So beleuchten komplementäre Texte die Ambivalenz der Zeit, das Bizarre der Familie sowie die konsequente künstlerische Entwicklung der Anna Mahler. Erstmals wird ein umfangreicher Briefwechsel mit der Mutter aus der Nachkriegszeit veröffentlicht. Am interessantesten ist jedoch das umfangreiche Bildmaterial. Zum einen, weil es Werke dokumentiert, die als gestohlen oder zerstört gelten. Zum anderen, weil manche Fotos schlagartig die Psychologie einer facettenreichen Persönlichkeit offenbaren. Auf einem Bild von Alma und Anna, 1950 in Los Angeles aufgenommen, strahlt die Mutter kokett in die Kamera, während die Tochter von der Seite blickt, als betrachte sie eine Katastrophe. Ein anderes Foto wiederum zeigt Anna, wie sie mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und mit Hammer und Meißel den Stein bearbeitet und dabei von ihrem letzten Ehemann, dem Filmcutter und Theaterregisseur Albrecht Joseph, gefilmt wird.

Tatsächlich versuchte Anna Mahler, die das Handeln dem Sprechen und Schreiben vorzog, ein Leben lang, den Widerstand des Materials zu brechen und es mit ihren Fingern zu formen. Bildnerisch herausgekommen sind dabei voluminöse, ihren Platz behauptende Figuren, deren reduzierter, nach innen gerichteter Gesichtsausdruck einen Zug von asketischer Intellektualität trägt. Weil sie nicht nur viele Gesichter schuf, sondern auch selbst viele Gesichter besaß, hat sich noch 1999 Marlene Steeruwitz in ihrem Roman „Nachwelt. Ein Reisebericht“ auf Spurensuche nach der Künstlerin begeben, die entgegen dem Augenschein nur höchst Zerbrechliches hinterlassen hat.

HERIBERT HOVEN

Barbara Weidle, Ursula Seeber (Hg.): „Anna Mahler. Ich bin in mir selbst zu Hause“. Weidle Verlag, Bonn 2004, 250 Seiten, 25 Euro

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