„Ein Abbruch wäre der Absturz“

In Köln und Bonn wird auch über 2005 hinaus staatlich kontrolliert Heroin an Schwerstabhängige abgegeben. Die Kölner Prüfärztin Doris Dieninghoff: „Ende der Abgabe wäre ethisch nicht vertretbar“

Interview Thomas Spolert

Köln ist eine von acht Städten, die seit zwei Jahren an dem bundesweiten Modellversuch zur staatlich kontrollierten Heroinabgabe teilnehmen. Im Rahmen einer Medikamentenstudie erhalten Schwerstabhängige drei Mal täglich eine individuelle Dosis „Diamorphin“, also Heroin. Eine gleich große Vergleichsgruppe bekam während des ersten Jahres die Ersatzdroge Methadon.

Mitte 2006 soll anhand der Daten entschieden werden, ob Heroin in Deutschland als Medikament zugelassen wird. Finanziert wird der Versuch von Bund, Ländern und den teilnehmenden Kommunen. In Köln bekommen zurzeit knapp 50 Abhängige Diamorphin. Fast alle Patienten nehmen auch die angebotene soziale Betreuung in Anspruch. Bisher hat die Stadt die Hälfte der Kosten getragen.

taz: NRW-Gesundheitsministerin Birgit Fischer (SPD) hat angekündigt, dass es über das Jahr 2005 hinaus Landesmittel für die Heroinstudie geben wird. Ist damit die Abgabe an Schwerstabhängige in Köln finanziell gesichert?

Doris Dieninghoff: Da es sich um ein Modellprojekt von Bund, Land und Stadt handelt, müssen auch alle drei Träger zahlen. Der Bund und das Land sind bereit, das Projekt weiter zu finanzieren. Darüber freuen wir uns sehr. Inwieweit Köln zahlen kann, ist noch nicht sicher. Wir haben bei uns im Projekt schon selbst Kosten einsparen können. Dennoch müssen wir auch damit rechnen, dass das Projekt abgebrochen werden kann. Wie es weiter geht, hängt nun ganz davon ab, wie der neue Kölner Stadtrat sich zu dem Versuch stellen wird.

Welche Folgen hätte ein Abbruch für die Patienten?

Wir würden versuchen, die Teilnehmer in die Methadonsubstitution zu bringen. Das ist aber sehr schwierig, da wir ausschließlich Patienten behandeln, die mit dem wesentlich länger bestehenden Substitutionssystem nicht zurechtgekommen sind. Was bei einem Abbruch oder einer Unterbrechung passiert, konnte man in den Niederlanden vor Jahren schon einmal beobachten: Nach vier Wochen sind die Patienten wieder da, wo sie am Anfang des Heroinprojekts waren. Für die meisten würde der Abbruch den Absturz ins Elend bedeuten. Das ist ethisch nicht vertretbar. Die Ethikkommissionen gehen daher sogar soweit, zu sagen, dass es eine ethische Verpflichtung zur Fortführung des Projekts gibt.

Welche Veränderungen konnten Sie denn bei den Studienteilnehmern beobachten?

Die Patienten haben sich gesundheitlich und sozial stabilisiert. Das ist ja auch das Ziel der Studie. Exakte Daten dazu können wir allerdings erst nach dem Ende und der Auswertung der Studie veröffentlichen.

Welche Unterschiede gibt es zwischen der Vergabe von Heroin und Methadon?

Das Methadon wird getrunken und wirkt erst eine Stunde später. Dann gibt es zwar keine Entzugserscheinungen – aber auch keinen „Kick“, wie die Drogenabhängigen sagen. Für viele Süchtige ist das zu wenig. Das Diamorphin hingegen wird in die Vene gespritzt und bringt genau diesen für die Schwerstabhängigen wichtigen, wenn auch nur wenige Minuten andauernden Kick. Anschließend kommt es zu einer allgemeinen Entspannung. Die Patienten schätzen den Originalstoff vor allem, weil er sofort wirkt. Und: Wir Ärzte sehen sofort, ob ein Patient von uns die richtige Dosis bekommt oder überdosiert ist.

Wie wurden die Studienteilnehmer ausgewählt?

Mithilfe sehr hochschwelliger Kriterien. Die Teilnehmer mussten schwere körperliche oder psychische Erkrankungen haben und mindestens fünf Jahre opiatabhängig sein. Außerdem mussten sie nachweisen, dass sie mindestens einmal eine Abstinenztherapie versucht haben. Wir hatten rund 400 Interessenten in Köln, die an öffentlichen Plätzen von uns rekrutiert worden sind. 100 sind schließlich nach genauer Prüfung in die Studie aufgenommen worden.

Gab es Patienten, die den Versuch abgebrochen haben?

Einigen war der Aufwand zu groß, dreimal täglich und auch an Wochenenden zum Spritzen zu kommen. Zu Beginn des Projekts gab es außerdem Studienteilnehmer, die noch Haftstrafen anzutreten hatten und deswegen aussteigen mussten. Wieder andere haben eine Therapie angetreten. Zwei mussten wir aus disziplinarischen Gründen ausschließen. Alles in allem ist die Abbruchquote aber sehr niedrig.