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der flanierende holländerKussimperialismus in Berlin

Wenn man als Holländer nach Berlin zieht, wähnt man sich im Paradies. Alles an Holland sei schön, lieb und süß, heißt es hier. Fühle ich mich an einem Tag nicht so wohl, dann besuche ich einfach unseren neuen Freund G., der auf Frauen aus Holland steht, und Frau-Antje-Typen wie mich vergöttert. Auf Partys sind wir Collector’s Items. „Kommt ihr heute Abend?“, fragen die Deutschen ihre Berliner Freunde entzückt. „Wir haben echte Holländer!“ Holland ist geil, nicht nur wegen des Kiffens. Ab und zu wird dieses deutsche Holland-Faible sogar etwas peinlich. Bei der EM haben die Deutschen uns getröstet, als ihre Mannschaft ihr erstes (und war es nicht einziges?) Tor gegen Holland schoss. Und diese Kolumne? Nur, weil ich aus Holland komme!

Neulich sind wir mit unseren Freunden S. und G. trinken gegangen in einer hippen Bar in Prenzlauer Berg. Als wir nach Hause liefen und uns verabschieden wollten, warteten unsere neuen Freunden an der Ecke mit erwartungsvollem Blick. Jetzt sollte es ans Küssen gehen. Normalerweise kommt es mit Völkern, die gewohnt sind, nur zweimal zu küssen, zu heftigen Nasenkonflikten, wenn wir noch einen unerwarteten letzten Schwenk nach links machen. Nicht mit unseren neuen Freunden. Die mögen am liebsten die holländischen Dreier.

Ist es nicht komisch, dass Deutsche unseren Kussimperialismus ohne zu murren über sich ergehen lassen? Wie wäre das mit Eskimos? Würdet ihr dann auch die Nasen reiben, damit noch etwas mehr Wärme in die Berliner Luft kommt? Schwieriger wäre es natürlich mit Japanern. Denn die küssen am liebsten gar nicht – und sich an nichts anzupassen, ist wahrscheinlich auch für Anpassungsfetischisten wie Deutsche zu schwierig.

Wie weit würdet ihr gehen? Was würdet ihr dazu sagen, wenn wir alle Berliner Seen eindeichen würden? Und euch, wenn ihr auf Besuch kommt, zwingen würden, Hausschuhe anzuziehen, damit der schöne Holzboden nicht zerkratzt wird? Und würdet ihr bitte ein bisschen Platz machen, wenn wir nächsten Sommer, wie gewohnt in Holland, unsere Wohnwagen eine Woche in euren Straßen parken – als rituelles Zeichen unserer Ferienvorfreude? Und ja, liebe Damen, ab jetzt könnt ihr euren Geliebten weismachen, dass ab sofort nur noch auf holländisch gepinkelt wird. Nämlich draußen – gegen den Baum!

Glücklicherweise bin ich keine Korrespondentin in Frankreich. Nach dem Kopftuchverbot wird dort sicher auch bald ein zentralistisches Dreikussverbot für Holländer erlassen. Vor ein Kussreform in Deutschland brauchen wir uns dagegen nicht zu fürchten. So etwas auf dem Weg zu bringen – das würde hier Jahre dauern. Nein, Holländer zu sein in Berlin, ist das Schönste, was es gibt. Mit lieben Küssen.

LOES KRAAJO

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