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Keine Frau dem Feind

Kollektiver Suizid vor dem Hintergrund des pakistanisch-indischen Konflikts: „Silent Waters“ von der pakistanischen Filmemacherin Sabiha Sumar

Kaum etwas belastet die kollektive Psyche Indiens wie Pakistans bis heute so sehr wie die Teilung in den islamischen Staat Pakistan und das hinduistisch dominierte Indien, die mit der Befreiung von der britischen Kolonialherrschaft einherging. Zum Brennpunkt der religiös motivierten Auseinandersetzungen wurde schon 1947 der selbst geteilte Punjab. Es kam zu blutigen Kämpfen zwischen Muslimen und Sikhs, mit vielen tausend Toten. In größter Gefahr befanden sich die Frauen der Sikhs, die von ihren eigenen Familien zum Selbstmord gezwungen wurden, um dem Feind nicht in die Hände zu fallen. Denn diejenigen, die dem Feind in die Hände fielen, wurden meist entführt, geschändet, ermordet. Veero, die Heldin von Sabiha Sumars Film „Silent Waters“, ist eine dieser Frauen. Sie kann dem kollektiven Selbstmord im Dorfbrunnen entfliehen, heiratet einen Muslim, nennt sich Ayesha und gibt im Jahr 1979, in dem der Film seine Erzählung ansiedelt, gar muslimischen Religionsunterricht.

1979 liegt der Militärputsch Zia ul-Haqs, der auf sechs demokratische Jahre unter Zulfikar Ali Bhutto folgte, zwei Jahre zurück. Die neue Regierung erlaubt einen Besuch der Sikhs in ihrer alten punjabischen Heimat. Ayeshas Bruder ist darunter, er sucht seine Schwester, die an die Vergangenheit nicht rühren möchte, die sich arrangiert hat, ihre Herkunft verleugnen musste und muss, um zu überleben. Mit der Rückkehr des Bruders aber bricht das dreißig Jahre zurückliegende Trauma auf, das nicht auszulöschende Bild vom Dorfbrunnen, vom drohenden Zwangssuizid kehrt als Filmbild wieder, eine unwillkürliche, unabweisbare Erinnerung. Zugleich kündigt sich in Gestalt zweier fanatischer Vertreter der von der Regierung geförderten fundamentalistischen Bewegung eine fatale Zukunft an. Die Einpeitscher tauchen im Dorf auf und agitieren erfolgreich gegen die vorherrschende Stimmung liberaler Toleranz. Ayesha muss mit ansehen, wie ihr beschäftigungs- und richtungsloser Sohn den religiösen Rattenfängern auf den Leim geht und sogar die Beziehung zu seiner Freundin opfert.

Sabiha Sumars Film „Silent Waters“ will zeigen, was sich ereignet hat. Die Dokumentarfilmerin hat auch diesen Film als Dokumentation geplant. Es fanden sich aber die Zeuginnen nicht, die vor der Kamera hätten sprechen wollen, zu schrecklich war das Geschehene. Also wagte sich Sumar an die Fiktion und ging den Umweg über ausgedachte Figuren, über die Konstruktion einer Geschichte. Herausgekommen ist dabei ein redlicher Film. Sein Blick ist klar und unsentimental. Der Goldene Leopard von Locarno, den er 2003 erhielt, bezeugt, dass er auch jene berührt, die von den geschichtlichen Ereignissen in Pakistan wenig wissen.

Die Tatsache der schieren Existenz von „Silent Waters“ ist umso erfreulicher, als er der erste von einer Frau gedrehte Spielfilm Pakistans ist, wenngleich in einem internationalen Kontext. So ist Sabiha Sumar zwar in Karachi geboren, hat dann aber in New York und Cambridge studiert. Es versteht sich zudem von selbst, dass die an Bollywood orientierte, allerdings viel kleiner dimensionierte Kommerzfilmindustrie des Landes mit der Finanzierung nichts zu tun hatte. Nur mit Hilfe französischen und deutschen Geldes wurde die Produktion möglich.

Allerdings, das muss man auch sagen, will der Film mitunter zu viel und zu wenig zugleich. Zu viel, denn die Figuren und ihre Geschichten ächzen immer wieder unter der Konstruktion, die historische Ereignisse und Tendenzen auf die Charaktere verteilt. Der Film kann das Schematische seiner Geschichtsrekonstruktion nie ganz abschütteln, die DarstellerInnen können sich, so exzellent vor allem die sonst in Bollywood tätige Schauspielerin Kirron Kher als Veero/Ayesha agiert, von der Last nicht recht befreien, nie nur sie selbst, immer auch Verkörperung historischer Ereignisse zu sein. Zu sehr bleibt „Silent Waters“ eine – freilich: gelungene – Illustration geschichtlicher Ereignisse. Was fehlt, ist der Eigensinn des Ästhetischen oder des Wirklichen.

EKKEKARD KNÖRER

„Silent Waters“. Regie: Sabiha Sumar. Mit Kiron Kher, Aarmir Malik u. a. Pakistan, Deutschland, Frankreich 2003

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