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Der Hit haut ins Auge

„Jetzt wollen wir gemocht werden“: Sie haben einen Fehler gemacht. In letzter Zeit aber ist endlich Gras über ihren Song „Liebficken“ gewachsen und Sofaplanet kehren heim in die Indierock-Gemeinde

Aus einer richtigen Rockband wurde eine Teenieband mit zementiertem Image

VON THOMAS WINKLER

Manchmal ist es nur ein einziger Fehler, der das Leben einen ungewollten Verlauf nehmen lässt. Nur ein einziger Fehler, der den Unterschied ausmacht zwischen Respektabilität und Lächerlichkeit, nur ein Fehler, der aus einer Rockband ein One-Hit-Wonder macht. Der Fehler, den Sofaplanet gemacht haben, war zwei Minuten und 54 Sekunden lang, wurde von Halbwüchsigen gern gehört und hieß „Liebficken“. Es war nur ein einziger Fehler, aber dafür, so Sänger Sven Rathke, „ein ganz großer“.

So schwerwiegend war dieser eine Fehler, dass er drei Jahre später auch den Neuanfang überschattet, den Sofaplanet mit ihrem neuen, nun zweiten Album „Power to the Poeble“ versuchen. Kein Interview, in dem sie nicht nach dem eigentlich harmlosen Lied mit dem damals provokanten Refrain gefragt werden, kein Konzert, so Rathke, „bei dem nicht irgendwer nach dem Song schreit“. In Saarlouis wurde das Trio dereinst mit Lollies und Geld beworfen, als man noch andere Songs als „Liebficken“ spielen wollte.

Sie hatten aber noch andere Songs, ganz andere Songs. Aber begingen den Fehler, ihrer damaligen Plattenfirma nachzugeben. Eigentlich wusste die Band, dass „Liebficken“ als allererste Single sie auf ein ungewolltes Image festlegen würde. Aber nachdem die Aufnahmen zum ersten Album doppelt so teuer geworden waren wie geplant, glaubte der finanzierende Unterhaltungskonzern nicht mehr, ohne einen Top-Ten-Hit auskommen zu können. „Wir hatten nicht genug Rückgrat“, sagt Rathke, die Plattenfirma hatte einen Sommerhit und Sofaplanet ein Publikum, das nicht zu ihnen passte. „Niemand wusste“, so Schlagzeuger Jan Kertscher, „dass wir uns seit Jahren in Berlin den Arsch abgespielt hatten.“ Die alten Fans wandten sich ab, während der angelockte Nachwuchs nichts mit den von der Hamburger Schule inspirierten restlichen Songs anfangen konnte. „Es war unser erster Kontakt mit der Industrie“, erinnert sich Rathke, „und wir wurden gleich gefressen.“ So fatal war der Fehler, dass in der Presse gemutmaßt wurde, die Band wäre gecastet. Es wurde gar bezweifelt, dass sie „Liebficken“ selbst geschrieben hätten. Aus einer richtigen Rockband wurde eine Teenieband mit zementiertem Image. Ein einziger Fehler, und man beginnt den Neuaufbau, glaubt Rathke, „imagetechnisch ganz von vorne“.

Zwar haben Sofaplanet nun bereits eine vollständige Popmusiker-Karriere im Schnelldurchgang durchlaufen, aber ihr Durchschnittsalter ist immer noch gerade mal 25. Rathke und Bassist Martin Gottschild allerdings rücken langsam in ein Alter vor, in dem andere ihr Leben konsolidieren, Familien gründen und feste Jobs ergreifen. Sofaplanet dagegen verbrachten Jahre damit, sich mit ihrer Plattenfirma zu streiten: Eine zweite Single nach „Liebficken“ wurde niemals veröffentlicht, 40 neue Songs mit dem bekannten Argument „Da fehlt der Hit“ abgelehnt, ein von der Band selbst finanziertes Video erst gar nicht mehr vom Label bei den Musiksendern eingereicht. Sofaplanet wurden kaltgestellt, weil sie kein zweites „Liebficken“ schreiben wollten.

Nun, entlassen aus dem Vertrag, jobbt sich Rathke durchs Leben, Kertscher hat gerade eben erst ein Architekturstudium begonnen und Gottschild hält sich als Dichter und freier Autor, so für die MTV-Show von Sarah Kuttner, über Wasser. So gesehen hatte der Fehler auch seine gute Seite: Vielleicht musste man sich mitunter beschimpfen lassen für ihn und kam sich einigermaßen fehl am Platze vor, wenn man bei The Dome und Top of the Pops zum Vollplayback auftrat, aber immerhin konnten die Drei von Sofaplanet bis Anfang dieses Jahres von der Musik leben. Vielleicht nicht allzu üppig, aber das, sagt Rathke, „war auch nicht zu verachten“. Nun sind die drei zwar „heilfroh“, die alte Plattenfirma endlich los zu sein, aber müssen jetzt damit leben, dass man, so Gottschild, „sehr viel zu tun hat und sehr wenig Geld dafür bekommt“. Das wird sich, ohne potenten Konzern im Rücken, auch so schnell nicht ändern. Im Moment steht Sofaplanet eh der Sinn nach anderem. „Wir haben so eingesteckt in den letzten Jahren“, sagt Rathke, „jetzt wollen wir gemocht werden.“ Auf diesem Feld immerhin kann die Band erste Erfolge verzeichnen: „Es ist langsam Gras über die Sache gewachsen“, glaubt Gottschild, „wir werden wieder in die Indie-Gemeinde aufgenommen.“

Die neue Klientel will man überzeugen mit alten Qualitäten. War doch schon das Debütalbum abgesehen von „Liebficken“ dominiert von solidem Diskurs- Pop. Den schreiben Sofaplanet nun fort und ergänzen ihn mit altersweiser Melancholie. „Meistens geht es ums Scheitern“, erzählt Sänger und Texter Rathke, und Gottschild hofft, seiner Band gelinge „Popmusik mit Aussage“. Dabei entstanden einige Lieder, die sich unfallfrei zwischen die allseits gelobte bundesdeutsche Popmusik von heute einschmiegen. Fast noch besser, da ironisch gebrochen, ist das Nebenprojekt Beatplanet, bei dem die drei mit Freunden zusammen eine DDR-Beatband aus den Sechzigerjahren imitieren.

Für Sofaplanet kann es nun also nur noch darum gehen, die Außenwirkung besser zu kontrollieren: „Durch das, was wir alles durchgemacht haben“, glaubt Gottschild, „wissen wir genau, was wir wollen und was wir nicht wollen.“ Wenn das gelingt, dann könnte sich die Hoffnung erfüllen, wie sie in einem der Songs von „Power to the Poeble“ formuliert wird: „Was da vor uns liegt, das sind goldene Zeiten.“

Sofaplanet: „Power to the Poeble“ (Wannsee/Edel)

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