piwik no script img

Schadenfreude-TV

„Mein großer dicker peinlicher Verlobter“ hält leider, was der dicke peinliche Titel verspricht (20.15 Uhr, Sat.1)

Rrrülps! Snorf! Faarz! Es klingt eklig, wenn Gunnar seinem körperlichen Geräuschrepertoire freien Lauf lässt. Und genau das tut er ab heute sieben Donnerstagabende um 20.15 Uhr in Permanenz. Ein grobschlächtiger Kerl mit miesen Manieren und sozialen Aussetzern, ließe sich nun anmerken – das ist doch bei Privatsendern völlig normal. Dort, wo unter Beobachtung gepoppt, gefrauentauscht, gegärtnert, geprollt, gestarsearcht, gelangweilt wird. Doch mit „Mein großer dicker peinlicher Verlobter“ erhebt Sat.1 abstoßendes Verhalten endgültig zum Einstellungskriterium.

Der Schauspieler Tetje Mierendorf spielt Gunnar, einen angeblich gecasteten Single, der in einer „frechen Dating-Reality-Show“, wie Sat.1 prahlt, heiraten soll. Mareike nämlich, eine sehr spröde, sehr dünne, sehr klassische, also sehr fernsehtaugliche Blondine aus Kiel. Die wiederum – ganz nach dem Vorbild des enorm erfolgreichen Vorbildformates „My Big Fat Obnoxious Fiancé“ aus den USA – tatsächlich gecastet ist, nichts von Tetje weiß und ihrer Familie jenen Widerling als künftigen Ehegatten präsentieren muss. Eine halbe Million Euro kriegt sie, wenn die Sippschaft bis zum Traualtar bei der Stange bleibt, und das war’s auch schon an inhaltlicher Relevanz der Erfindung des rechtspopulistischen Propagandakanals Fox.

Alles weitere gebiert der Verdauungstrakt. Gunnar schmatzt und rülpst und säuft und frisst und sifft in einer Tour. Dick, wie er ist, macht er auch noch alles kaputt und lacht stets feist. Das Drehbuch dürfte lautsprachlich formuliert sein, wenn es denn eines gibt. Mareike dagegen, das geldgeile Püppchen, darf reagieren, wie es die Lehre eigentlich überkommener Geschlechterdifferenz gebietet: mal offen zickig, mal verheult, mal mütterlich. Das ist dämlich und berechenbar – aber leider unterhaltsam.

Denn mit Humorkeulen à la Dick & Doof wird hier Schadenfreude-TV auf dem Rücken einer Frau geboten, die es nicht besser verdient hat – und man amüsiert sich darüber, wie ihr der vermeintliche Goldesel wirklich gekonnt den Nerv raubt. Dazwischen stolpert Moderatorin Witte-Winter auf ungesundem Schuhwerk durch die Luxuskaserne und verteilt Aufgaben. Es bleibt die Frage, was eigentlich am schlimmsten ist: rrrülps, tihi, prust – oder doch die eigene Lust am Voyeurismus? JAN FREITAG

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen