Präsident Putin will noch mehr Macht

Mit umfassenden politischen Reformen will Russlands Präsident Wladimir Putin in den Kampf gegen den Terror ziehen. Vor allem die Regionen sollen weiter entmachtet werden. Deren Regierungschefs will der Staatschef künftig selbst ernennen

„Der Kampf gegen den Terrorismus sollte zu einer nationalen Aufgabe werden“

VON BARBARA OERTEL

Man hätte es schon nach der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin an die Nation in der vergangenen Woche ahnen können: Da hatte der Kremlchef für den desaströsen Ausgang des Geiseldramas im nordossetischen Beslan, bei dem mindestens 326 Menschen getötet worden waren, noch eine Fehleinschätzung des weltweiten Terrorismus verantwortlich gemacht, dem der russische Staat nicht angemessen begegnet sei. Kurzum: Man sei zu schwach gewesen.

So gesehen entbehrt der neue Vorstoß Putins nicht einer gewissen Logik: Mit tief greifen Änderungen im politischen System Russlands soll nun der Kampf gegen Extremisten forciert werden. Russland habe es bislang nicht geschafft, einen starken und einheitlichen Staat zu errichten, sagte Putin bei einem Treffen der Regierung mit den Gouverneuren der 89 russischen Regionen gestern in Moskau. Nach der Geiselnahme in Beslan sei diese Aufgabe noch dringender geworden. „Der Kampf gegen den Terrorismus sollte zu einer nationalen Aufgabe werden“, sagte Putin.

Wie nicht anders zu erwarten laufen Putins Vorschläge auf eine noch größere Machtfülle für den Kreml hinaus. So möchte der Präsident zum einen das System für die Wahl des russischen Unterhauses, die Duma, reformieren. Diese solle künftig ausschließlich nach dem Verhältniswahlrecht zusammengesetzt werden, bei dem die Sitze proportional zu den für die Kandidatenlisten einer Partei abgegebene Stimmen verteilt werden. Bisher wird nur die Hälfte der 450 Abgeordneten nach diesem System gewählt. Die andere Hälfte besteht aus Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis die Stimmenmehrheit auf sich vereinen.

Auf diesem Weg kommen viele unabhängige Kandidaten in die Duma. Genau das möchte Putin künftig vermeiden. „Im Interesse einer Stärkung des nationalen politischen Systems erachte ich es als notwendig, ein proportionales Wahlsystem für die Staatsduma einzuführen“, sagte er. Er wolle dem Parlament schon bald eine entsprechende Gesetzesinitiative vorlegen.

Gegner Putins befürchten durch eine solche Änderung eine Zementierung der Dominanz der Regierung bei Parlamentsentscheidungen – und das zu Recht. Schon jetzt verfügt die Präsidentenpartei Vereinigtes Russland zusammen mit gleichgesinnten Gruppierungen über eine erdrückende Mehrheit in der Duma. Zudem sind mittlerweile zahlreiche, so genannte unabhängige Abgeordnete, die über ein Direktmandat in die Duma eingezogen waren, aufgrund von entsprechendem Druck oder finanzieller Motivationshilfe in das Lager der präsidententreuen Kräfte übergewechselt.

Den zweiten Hebel will Putin in den Regionen ansetzen und fordert daher einen größeren Einfluss der Regierung auf die Besetzung der Gouverneursposten. „Führende Vertreter der Föderationsmitglieder sollten per Ernennung durch den Staatschef ausgewählt werden.“ Zurzeit werden regionale Gouverneure gewählt. Doch auch hier verstand es der Kreml in der Vergangenheit nur zu gut, seine ihm genehmen Kandidaten bei den Regionalwahlen durchzusetzen.

Die Reformen, die die Duma mit Sicherheit absegnen dürfte, sollen durch weitere Neuerungen flankiert werden. So soll auf föderaler Ebene eine Kommission eingerichtet werden, die sich ausschließlich mit den Vorgängen im Nordkaukasus befassen soll. Zudem ist künftig eine härtere Bestrafung von Beamten vorgesehen, die mutmaßlichen Terroristen helfen, indem sie, gegen entsprechende Bezahlung, falsche Pässe ausstellen.

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