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Cottbus näher an Gelsenkirchen

Die finanzielle Ungerechtigkeit zwischen Ost und West ist geringer als gemeinhin angenommen. Eine neue Studie kommt zu dem Schluss, dass das real verfügbare Einkommen in etwa gleich hoch ist

VON ELMAR KOK

Michael Roos, Volkswirtschaftler der Universität Dortmund, ist sich sicher, dass es „gefühlte Armut“ gibt. „Bei der Einschätzung der eigenen Lebensverhältnisse spielt nicht nur das eigene Gehalt eine Rolle“, sagt der Ökonom zu seiner Studie, die die Ungleichheit zwischen Ost und West unter Berücksichtigung der herrschenden Lebenshaltungskosten beleuchtet.

Die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit zeigten, dass die Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern viel geringer sind, als vielen Politikern im Osten lieb sein könnte. Denn während die Bruttolöhnen im Westen nominal rund 28 Prozent höher als im Osten sind, bleiben davon nach Berücksichtigung von Preisunterschieden gerade einmal acht Prozent übrig. Roos‘ Studie kommt zu dem Schluss, dass die real verfügbaren Einkommen in beiden Teilen Deutschlands gleich hoch sind.

Roos beruft sich in seiner Studie unter anderem auf Daten des Bundesamtes für Daten und Statistik und auf Preiserhebungen in 50 deutschen Städten. Besonders die günstigen Wohnungen in den ostdeutschen Ländern führten dazu, dass den Menschen in Ost und West gleich gut gehe, sagt Roos. Während in Hessen durchschnittlich die höchsten Gehälter gezahlt werden, ist derselbe Warenkorb dort gleich ein Viertel teurer. Aber auch für Nordrhein-Westfalen hat Roos überraschende Erkenntnisse.

Denn das durchschnittliche Realeinkommen des Jahres 2002 betrachtet, liegt Nordrhein-Westfalen bundesweit auf dem ersten Platz. Dafür könnten in Nordrhein-Westfalen verschiedene Faktoren verantwortlich sein, glaubt der Ökonom. Dazu zählen nach seinen Angaben beispielsweise Gewinne aus Kapital, wie beispielsweise Aktien, aber auch die Höhe der Renten und der Sozialhilfen. Zudem seien die Preise in Nordrhein-Westfalen nicht so hoch wie beispielsweise in Süddeutschland.

Diese Thesen wurden gestern durch vom Bundesamt für Daten und Statistik vorgelegte Zahlen zu den Bruttoeinkünften deutscher Privathaushalte untermauert: Demnach kommt bundesweit jeder vierte Euro des Bruttoeinkommens aus staatlichen Leistungen, in den neuen Bundesländern ist es jeder dritte Euro. Insofern könnten es auch hohe staatliche Zuwendungen sein, die NRW zum ersten Platz bei den Realeinkommen verholfen haben, mutmaßt Roos. Ebenso ließe sich ein geringer Steueranteil in Nordrhein-Westfalen dafür verantwortlich machen, sagt er. „Zudem liegt Nordrhein-Westfalen gut bei den Lebenshaltungskosten“, so Roos.

Warum sich die NRW-Bürger und gerade die Politiker trotzdem beschweren? „Dafür gibt es in der Wirtschaftswissenschaft die Zufriedenheitsforschung“, sagt Roos. Denn auch Ehestand, Umweltqualität, Kinder und Freunde ließen sich in Geldgrößen ausdrücken. „Wenn die neuen Bundesländer ein unabhängiges Land geworden wären und sich nicht mit den westdeutschen Verhältnissen vergleichen müssten, sondern auch mit Polen oder Tschechien, wären die Menschen dort vielleicht nicht so unzufrieden.“

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