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fußpflege unter der grasnarbeHamburger noch nicht reif für die EM 2004

Mit dem Patriotismus ist das ja so eine Sache. Klar schaut man sich als braves Kind Hammonias ein Länderspiel an, in dem so viele Hamburger dabei sind. Doch wie es so ist mit der Heimat, sie macht einem die Treue bisweilen schwer.

Mit Sergej Barbarez ein aktueller HSVer, mit Hasan Salihamidzic und Zlatan Bajramovic zwei Kicker, die an der Elbe Auen groß geworden sind – in keiner anderen Auswahl weltweit spielen so viele Hamburger wie in der bosnischen.

Bosnien-Herzegowina gegen Dänemark, ein hanseatischer Pflichttermin. Nur wo ihn wahrnehmen? Vor allem Jasmin Demirovic hat sich damit tagelang beschäftigt. Demirovic ist Trainer des Landesliga-Aufsteigers SC Bosna und hat in der vergangenen Woche vermutlich alle Telefonnummern in Hamburg lebender Bosnier gewählt. In Düsseldorf wird eine Großbildleinwand aufgestellt, Hamburg schert sich dagegen wenig um seine Fußballer. Am Freitag steht fest: Der bosnische Sender Hajet überträgt das Match. Doch wer kann den empfangen? Als sich das Team vom SC Bosna am Samstag Mittag trifft, um zum Spiel nach Harksheide zu fahren, ist noch keine Lösung in Sicht. Demirovic: „Zur Not setzen wir uns ins Clubheim und drehen so lange an der Antenne, bis ein Bild reinkommt.“ Das Spiel bei TuRa Harksheide endet 1:1. „Es wäre mehr drin gewesen“, ärgert sich der Coach. Bosnien wäre nur bei einem Sieg im Koševo-Stadion erstmals in einer EM-Endrunde dabei. Einige Spieler des SC Bosna haben einen Bekannten aufgetrieben, der Hajet empfangen kann und seilen sich ab. 45 Minuten vor dem Anpfiff in Sarajevo der erlösende Anruf.

Die deutsch-dänische Kneipe Marktløcke im Karolinenviertel hat eine Leinwand aufgestellt, um die sich hauptsächlich Menschen in rot-weißen Trikots scharen. Demirovic wagt sich mit Frau, Kind und zwei seiner Spieler auf das fremde Terrain. Im Nebenzimmer läuft das Spiel der Isländer im Volkspark.

Es dauert nicht lange, bis in der Marktløcke gejubelt wird. Als sich Thomas Gravesen, noch ein alter HSVer in Sarajevo, über links durchsetzt und auf Jørgensen (12.) passt, gehen die Dänen früh in Führung. Lange Gesichter ganz vorne, wo der SC Bosna-Block sich platziert hat und dem immer euphorischeren dänischen TV-Kommentar lauscht. Die Stimmung wird erst besser, als der überragende Salihamidzic auf Elvir Bolic (39.) flankt und der per Kopf zum 1:1 ausgleicht. Kurz darauf trifft Barbarez um ein Haar zum 2:1. Die Hoffnung steigt.

Nach dem Wechsel berennen die Bosnier das Tor und ihre insgesamt neun Anhänger im dänischen Kneipen-Exil werden mutiger. Kurz vor Schluss reagieren die Rothemden unter den Zuschauern mit lautstarken „Denmark, Denmark“-Rufen, um zu demonstrieren, wer auf St. Pauli bei der Übertragung aus Sarajevo die Hausherren sind. Alles Anrennen ist vergebens. Es bleibt beim 1:1 und Bosniens größter Fußball-Tag mündet in keine noch größere Nacht. Drei Hamburger weniger bei der EM in Portugal.

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