: berliner szenen Erfolgreich traurig
Mit dem Künstler fühlen
Da denkt man, so ein brotloser Künstler hat nur drei Dinge im Kopf: Was ess ich, was mal ich, und wovon bezahl ich? Und dann so was: Der Künstler, der mir neulich auf seinem kleinen Fahrrad irgendwo in Kreuzberg begegnete, trug das sympathische Gesicht in Sorgenfalten gelegt. Was fehlt dir, fragte ich, Inspiration, Erfolg oder Kleingeld? Na ja, druckste der Künstler, eigentlich liefe ja alles ganz gut, er käme gerade aus New York, und bei der dortigen Solo-Ausstellung war beim Eröffnungsabend alles verkauft worden. Er sei trotzdem schlechter Laune, denn gestern habe ein Freund von ihm FÜNF Throbbing-Gristle-Platten auf dem Flohmarkt, und dann auch noch für kleines Geld, erstanden. Nun ja, sagte ich, das mit dem Erfolg in New York ist doch auch gar nicht so schlecht …
Aber der Künstler war untröstlich. Ich versuchte, mich in seine Lage zu versetzen, indem ich mir eine ähnliche Situation vorstellte: Nehmen wir mal an, ich bekäme von einer Zeitung mit richtig Geld in der Spesenkasse den Auftrag, eine Reportage über Champagnerherstellung zu machen, mit allem Pipapo, Spitzenhotel und persönlichem Kellermeister. Nachdem ich wieder zu Hause und ausgenüchtert wäre, schnappte mir jemand eine spottbillige und todschicke Sechzigerjahre-Muschelplättchenlampe vor der Nase weg. Kann einem das die Laune verderben?
Schwierig, das musste ich zugeben. Ich schlug dem Künstler mitfühlend auf den Rücken, so dass er fast vom Fahrrad fiel. Und wenn du dir die Platten aufnehmen lässt, schlug ich vor. Haha, sagte er, dann kannst du dir die Lampe ja auch gleich aus ein paar Flohspiel-Plastikplättchen nachbasteln. Wir seufzten beide. Trotzdem gratulier ich dir, sagte ich und sah zu, wie er traurig von dannen radelte. JENNI ZYLKA
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