EU uneins über die EU-Truppe

Die USA sehen in einer eigenständigen europäischen Verteidigungsstruktur eine Bedrohung der Nato. Auf dem Gipfeltreffen in Brüssel rudert der britische Premierminister Blair zurück. Diskutiert wird über ein eigenes militärisches Hauptquartier

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac wirkte gestern Mittag am Ende des Herbstgipfels in Brüssel noch selbstzufriedener als sonst. Die Zusatzaufgabe als Sprecher des deutschen Bundeskanzlers scheint ihm zu behagen. Kein Wunder, feiert doch die französische Presse seit Tagen die siamesischen Zwillinge Deutschland und Frankreich. Der Pariser Figaro sieht den deutsch-französischen Staat in greifbare Nähe rücken, und Le Monde glaubt, den anderen Staaten müsse die Tatsache, dass Chirac am zweiten Gipfeltag den in Berlin unabkömmlichen Kanzler vertrat, eine Warnung sein: Wer nicht mithalten wolle beim Tempo der Integration, müsse eben draußen bleiben.

Tony Blair zumindest ließ sich davon nicht beeindrucken. Hatte er noch beim Dreiergipfel mit Chirac und Schröder am 20. September in Berlin signalisiert, eine eigenständige EU-Verteidigungspolitik aktiv unterstützen zu wollen, ruderte er gestern in Brüssel deutlich zurück. „Jeder wird am Ende akzeptieren, dass die Verteidigungsgarantien in der Nato wurzeln.“ Der Nato-Botschafter der USA, Nicholas Burns, dürfte das mit Genugtuung gehört haben. Am Mittwoch hatte er beim Nato-Rat in Brüssel gewettert, die deutsch-französische Initiative für eine eigenständige EU-Verteidigungsstruktur bedeute die „ernsteste Bedrohung für die Zukunft der Nato.“

Chiracs strahlende Laune war gestern wie weggewischt, als er nach Großbritanniens Haltung zu einem gemeinsamen europäischen Hauptquartier gefragt wurde. Sein skeptischer Gesichtsausdruck sagte mehr als die diplomatisch verbrämte Antwort: „Die Reaktionen auf den Vorstoß von Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg, die europäische Verteidigungspolitik besser zu koordinieren, waren durch die Irakkrise naturgemäß etwas überhitzt. Diese Phase liegt jetzt hinter uns. Wir verstehen aber, dass unsere britischen Freunde weiterhin mit der Idee einige Probleme haben.“

Aus deutschen Diplomatenkreisen hieß es, das Treffen zwischen Schröder, Blair, Chirac und Verhofstadt am Rande des EU-Gipfels habe noch keine Annäherung gebracht. Selbstverständlich bleibe die Verteidigung des Bündnisses gegen Angriffe von außen Nato-Sache. Dieses Szenario stehe aber derzeit nicht im Vordergrund. Diskutiert werde über den Fall, dass die Nato sich in einem Krisengebiet nicht engagieren wolle. Die Koordination müsse dann über Paris, London oder Potsdam laufen – oder über ein eigenes EU-Hauptquartier.

Beim Dreiergipfel im September in Berlin habe Tony Blair einer eigenen Truppe unter Planung und Führung der EU bereits zugestimmt. Beim Gipfel in Brüssel sei er deutlich zögernder aufgetreten, berichteten deutsche Delegationsteilnehmer.

Einen Zusammenhang zu den kaum verbrämten Drohungen des US-Botschafters bei der Nato wollte gestern niemand herstellen. Das Verständnis über den Prozess der europäischen Integration sei „nicht überall in Washington gleich ausgeprägt“, seufzte ein deutscher Diplomat. Ein vergleichsweise junger Politikbereich wie die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik habe sich durch die weltpolitischen Herausforderungen rund um den 11. September überraschend schnell entwickelt – es sei schwer, den Amerikanern diese Dynamik nahe zu bringen.

Bei der Nato haben alle Beteuerungen der Gipfelteilnehmer, ihre Pläne seien nicht gegen das Bündnis gerichtet, die Wogen nicht glätten können. Am Montag kommen die Nato-Botschafter zu einer Sondersitzung zusammen. Einen Tag später wollen sie bei einem Treffen dem sicherheitspolitischen Ausschuss bei der EU auf den Zahn fühlen.

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