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Peinlichkeit erster Güte

Kita-Einführungsgesetz soll laut Gutachten rechtswidrig sein. Opposition fordert Rücknahme des erst halb verabschiedeten Entwurfs

Von Kaija Kutter

Als Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram Anfang September ihr umstrittenes „Einführungsgesetz zum Hamburger Kinderbetreuungsgesetz“ (EGKibeG) in der Bürgerschaft zur Abstimmung stellte, blockierten SPD und GAL mit ihren Stimmen die sofortige zweite Lesung. Zum Glück, könnte man sagen, denn wie aus einem Rechtsgutachten hervorgeht, dass die Behörde bei dem Jugendhilferechtsexperten Christian Bernzen in Auftrag gab, wäre das Gesetz nicht rechtens.

Bernzen hatte bereits Ende August in der taz davor gewarnt, weil das Kinder- und Jugendhilfegesetz Vereinbarungen zwischen dem Staat und den Trägern vorsieht. Schnieber-Jastram will jedoch für den Fall, dass ihre Verhandlungen mit den Kita-Trägern scheitern, ab Januar 2005 neue Kostensätze und Standards per Rechtsverordnung erlassen. Wie aus dem Anhang zum EGKibeG hervorgeht, sind dann Kürzungen in Höhe von 70 Millionen Euro und Personalabsenkungen von 21 Prozent geplant.

Bernzen, der im Team mit anderen Juristen das Gutachten erstellte, will sich aus Rücksicht auf seine Auftraggeber nicht äußern. Auch Behördensprecher Oliver Kleßmann will zum Inhalt der Expertise nichts sagen. Lediglich, dass es sich um einen ersten „Entwurf“ handle, über den noch „Klärungsbedarf“ bestehe.

Doch taz-Infomationen zufolgekommt das Gutachten vielmehr zu dem Fazit, dass es nicht zulässig ist, Personalstandards und Flächenbedarf für Kitas vorzugeben und zugleich bei der Finanzierung zu kürzen. Aus Sicht der Juristen geht dies nur, wenn die vom Staat gezahlte Summe die tatsächlich entstehenden Kosten deckt, was nicht der Fall sei.

Die SPD-Abgeordnete Andrea Hilgers fordert nun die Senatorin auf, das Gutachten vor der Bürgerschaftsanhörung zum Thema am 22. Oktober auf den Tisch zu legen. Wenn es tatsächlich Rechtswidrigkeit attestiere, wäre dies „Peinlichkeit erster Güte“. Sie sollte deshalb das Gesetz zurückziehen und mit den Kita-Anbietern „ernsthaft verhandeln“.

Doch die Verhandlungen mit der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) ziehen sich hin. Zur Zeit wird laut Sprecher Michael Edele immer noch auf der Fachreferentenebene über Details einer Pauschalierung gesprochen. Letztes offizielles Angebot der Behörde war ein Kita-Etat von 315 Millionen Euro für 2005, 15 Millionen weniger als 2004 bei erwarteten 5000 zusätzlichen Kindern.

Nach taz-Informationen wäre der Senat bereit, die Summe auf 330 Millionen Euro zu erhöhen. Dies läge aber immer noch weit unter dem Angebot der AGFW. Die wäre zu einer neunprozentigen Standardabsenkung in Form von größeren Gruppen bereit. Dann wären immer noch 360 Millionen Euro nötig, um die durch den Kita-Kompromiss zusätzlichen Kinder zu betreuen.

Unterdessen hat die Hannoveraner Kita-Expertin Heide Tremel auf einem Kita-Forum der GAL vor einer Standardabsenkung gewarnt. So käme eine Berliner Untersuchung zu dem Fazit, dass eine schlechtere Qualität in Kitas später „zu bis zu einem Jahr Bildungsrückstand in der Schule führen kann“.

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