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Her mit den jungen Türken

Der Halbmond ist aufgegangen: Lange Zeit wurde die Musik der Einwandererkinder in Deutschland belächelt. Doch plötzlich sind Popstars aus der Türkei auch hierzulande gefragt

Fußball-WM-Erfolg und Grand-Prix-Sieg haben das Image der Türkei aufpoliert

von DANIEL BAX

Es ist erst ein paar Jahre her, da gab es noch keine türkischen Moderatoren im deutschen Musikfernsehen. Das lag sicher nicht daran, dass es keine Bewerbungen gegeben hätte. Doch bis vor kurzem galt es bei MTV und Viva offenbar noch nicht als opportun, sich mit einem orientalischen Gesicht zu schmücken.

Das hat sich inzwischen geändert, aus mehreren Gründen. Zum einen ist die Türkei nach dem WM-Erfolg des türkischen Fußballteams im vergangenen Jahr und dem Grand-Prix-Sieg der Sängerin Sertab Erener im März diesen Jahres plötzlich hip geworden. Statt wie bislang nur mit Dönerbuden, Billigreisen und Kurdenkrieg bringt man das Land hierzulande nun auch mit Erfolgsfußball und flotten Bauchtanz-Choreografien in Verbindung. Ein positiver Imagewandel also. Schon wurden in Berliner Clubs junge Menschen gesichtet, die weiß-rote T-Shirts mit „Türkiye“-Aufdruck trugen. Der Halbmond ist aufgegangen.

Dieser Trend dürfte den Kölner Musiksender Viva dazu bewogen haben, die 21-jährige Gülcan Karahanci aus Lübeck als Moderatorin zu seinem neuen Aushängeschild zu küren. Und er hat nun in Deutschland die Türen auch für Popstars aus der Türkei geöffnet. Gerade erst stürmte der türkische Popsänger Mustafa Sandal mit dem Song „Aya benzer“ in die deutschen Topten. Das Stück ist zwar bereits fünf (!) Jahre alt. Doch für die Neuauflage des Songs konnte der Popstar vom Bosporus die besagte Viva-Moderatorin Gülcan Karahanci als Partnerin gewinnen, die einen lahmen Rap-Part beisteuerte. Das reichte schon aus, um „Aya Benzer“ in die deutschen Charts zu bringen.

In dieser Woche nun erscheint das dazugehörige Album „Seven“ des 33-jährigen Posterboys des türkischen Pop. Auch das neue Album der Sängerin Sezen Aksu, die in der Türkei als Übermutter der gegenwärtigen Popszene gilt, ist in gesonderter Form in Deutschland erschienen, ein paar alte Hits und neue Bonustracks inklusive. Damit versucht ihre deutsche Plattenfirma, auch ihr den Sprung aus den türkischen Kassettenläden von Kreuzberg in den deutschen Markt zu ermöglichen. Nur Tarkan, dem vor vier Jahren mit seinem Kuss-Song „Simarik“ – als erstem Türken – ein Welthit gelang, der bis nach Südamerika schallte, bleibt seltsamerweise außen vor. Sein neuester Hit „Dudu“, der am Bosporus schon längst aus allen Boxen schallt, hat hierzulande keine Plattenfirma gefunden. Sein Album, auf dem Tarkan neuerdings mit strubbeliger Beckham-Frisur posiert, wurde bislang nur in der Türkei veröffentlicht und ist bislang lediglich in türkischen Importläden zu kaufen.

Daran zeigt sich ein kleines Problem des gegenwärtigen Her-mit-den-jungen-Türken-Trends: seiner Ungleichzeitigkeit mit der Entwicklung in der Türkei. Denn während in Deutschland das Interesse an türkischer Popmusik gerade erst erwacht ist, befindet sich die Musikindustrie am Bosporus derzeit in einer tiefen wirtschaftlichen wie künstlerischen Krise.

Als Mitte der Neunzigerjahre in der Türkei, von kommerziellen TV-Sendern und privaten Radiostationen beflügelt, ein regelrechter Pop-Boom losbrach, tauchte jede Woche ein neuer Star auf der Bildfläche auf. Doch aus dieser Zeit haben sich nur die etablierten Namen wie Mustafa Sandal, Sezen Aksu oder Tarkan herübergerettet. So ist es fraglich, ob Mustafa Sandals Erfolg mit „Aya Benzer“ tatsächlich den Auftakt zu einer internationalen Karriere markiert oder nur ein Strohfeuer bleibt. Sein neues Album „Seven“ besteht jedenfalls fast nur aus Stücken wie „Suc Bende“ oder „Araba“, die in der Türkei bereits Hits waren.

Dabei haben deutsche Medien und Plattenfirmen gerade erst ein Faible für den Orient entwickelt und die jungen Deutschtürken vor Ort als Zielgruppe entdeckt. Das Marketing ist oft noch zurückhaltend. Denn manche haben Angst davor, durch allzu offensives Werben um diese Klientel ihre deutschen Kunden zu verschrecken. So schreibt ein Mustafa-Sandal-Fan namens „Harkan“ im Internet-Gästebuch seines Idols: „Falls Ihr Mustis Musik öfter im Funk hören wollt, so ruft den betreffenden Radiosender an oder sendet Mails. Im Augenblick gibt es noch sehr viele Menschen, die bei den Sendern anrufen und einfach darum bitten, ‚das türkische Gedudel auszumachen‘. Solange ihr also nicht dagegenhaltet, wird sich so schnell nichts ändern.“

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