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Was macht eine Stadt kreativ?

Einwanderungsquartiere sind wichtig für die Integration der Migranten. Sie sind Brückenköpfe einer vertrauten Heimat in der Fremde. Zu einer Stadt gehören nicht Größe und Dichte, sagt der Oldenburger Soziologe Walter Siebel, Kreativität entsteht auch im Umgang mit Fremdheit. Nach seinem Vortrag im Haus der Wissenschaft Anfang dieser Woche interviewten wir den Stadtforscher.

Interview: Christine Spiess

taz: Nach dem amerikanischen Soziologen Richard Florida besteht ein Zusammenhang zwischen der ökonomischen Stärke einer Stadt und der dort lebenden „kreativen Klasse“: Trifft das zu?

Walter Siebel: Zunächst trifft das zu. In der Wissensökonomie sind die hoch qualifizierten Arbeitskräfte die entscheidende Produktivkraft. Es stimmt auch, und das ist etwas Neues, dass sich Betriebe der modernen Wissensökonomie dort ansiedeln, wo sie entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte vorfinden. Aber wenn man erklären möchte, was denn eine Stadt kreativ macht, dann ist die Antwort, Städte sind Orte von Innovationen, weil sich dort Arbeitskräfte mit Fähigkeit zu Innovationen angesiedelt haben, ein bisschen unbefriedigend.

Was also macht eine Stadt kreativ?

Da gibt es mehrere Antworten. Eine erste hat der Soziologe Georg Simmel vor gut 100 Jahren gegeben: Er hat die Stadt im Unterschied zum Land definiert, durch Größe, Dichte und Heterogenität der Bevölkerung. Es ist unmittelbar einsichtig, dass in einer Marktwirtschaft die Größe der Bevölkerung auch mit der Differenziertheit der Angebote zu tun hat, ob das nun Lebensmittel sind oder kulturelle Angebote. Wenn jeder Tausendste einer Stadt in ein Avantgardekonzert geht, dann kommen in einer Millionenstadt immerhin tausend Menschen zusammen, in einer Stadt wie Oldenburg etwa 160. Das heißt, je größer eine Stadt, desto differenzierter kann das Angebot an Gütern, Dienstleistungen, kulturellen Angeboten oder Einrichtungen sein, weil noch das avancierteste Angebot ein ökonomisch tragfähiges Publikum findet. Und dies wirkt wiederum auf den Publikumsgeschmack zurück. Diese Wechselwirkung ist eine erste Erklärung für die besondere Kreativität der großen Stadt.

Eine zweite Erklärung hat Émile Durkheim auch schon Ende des 19. Jahrhunderts angeführt: In einer dichten und großen Stadt entfaltet sich eine hoch differenzierte Arbeitsteilung, was wiederum ein Faktor für Produktivität, auch für kulturelle Produktivität ist.

Und die dritte Erklärung geht zurück auf Simmels Theorie des Fremden. Er definiert den Fremden als einen, der heute kommt und morgen bleibt, und zwar als Fremder bleibt. Für Simmel ist der Fremde nicht nur ein Faktor für die Kreativität einer Stadt, weil er neue Ideen in die Stadt hineinträgt. Simmel beschreibt mit dem Fremden eine soziale Situation, die Distanz beinhaltet und Distanz ist wiederum Vorraussetzung von Reflexion, und Reflexion ist eine Bedingung für innovatives Denken. Der Fremde ist der, der seiner eigenen Kultur, die er verlassen hat, nicht mehr angehört, der aber in der neuen Kultur noch nicht Fuß gefasst hat, sich noch nicht alltäglich auskennt. Er muss die neuen Routinen intellektuell lernen, er muss darüber nachdenken, er muss sich reflexiv zu seiner Umwelt verhalten. Natürlich hat die Fähigkeit zur Reflexion auch mit Bildung zu tun und Deutschland hat vor allem eine Zuwanderung von sehr unqualifizierten Menschen. Trotzdem, die soziale Situation, sich in einer Umwelt aufhalten zu müssen, die man nicht völlig versteht und die man sich deshalb als Erwachsener bewusst aneignen muss, wenn man sich überhaupt auf sie einlassen will, die ist für jeden dieselbe.

Der Zugewanderte ist aber nicht der einzige Fremde in einer großen Stadt.

Nein, er ist nur ein besonders sichtbarer Typus von Fremdheit. Moderne Gesellschaften produzieren aus sich heraus eine Fülle der unterschiedlichsten Fremdheiten: Das klassische Bürgertum, die grün-alternative Szene, die Reste des traditionellen Arbeitermilieus, die jugendlichen Subkulturen, das sind alles Milieus von Einheimischen, die sich untereinander sehr fremd sein können. Das heißt, die Menschen in der Stadt müssen – vor aller Migration – mit einer großen Fülle alltäglicher Fremdheitserfahrung umgehen, und ich glaube, dass dies eine Erklärung für ein erstaunliches Phänomen ist: dass unsere Gesellschaft, noch dazu mit unserer deutschen Vergangenheit, so gelassen und konfliktfrei umgeht mit über 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Jeder fünfte Bewohner der Bundesrepublik ist Migrant oder Kind von Migranten.

Was befähigt eine moderne Gesellschaft, so gelassen mit so viel Fremdheit umzugehen?

Sie ist dazu fähig, weil sie dies tagtäglich praktizieren muss: Eine Stadt ist voll von Fremden, jeder Einheimische begegnet, jedenfalls in einer ordentlich großen Stadt, lauter Fremden. Und deshalb hat der Städter Verhaltensweisen gelernt, die ihm dabei helfen. Nach Simmel ist die urbane Lebensweise gekennzeichnet durch Distanz, Intellektualität, Gleichgültigkeit und - keineswegs ein besonders freundliches Wort - Blasiertheit. Man hält sich die Erfahrung der Fremdheit vom Leib durch eine Art urbaner Indifferenz. Man lässt sich gegenseitig in Ruhe. Das ist eine Fähigkeit des gelernten Städters, das Individuum muss diese Leistung der Dethematisierung von Fremdheit erbringen. Es gibt aber auch eine Leistung der Stadtstruktur, um mit Fremdheit umzugehen: die Segregation, die Konzentration von sozialen Gruppen in unterschiedlichen Räumen der Stadt. Die segregierte Struktur der Stadt übersetzt soziale und kulturelle Distanz in räumliche Distanz. Man wohnt woanders. Park spricht von der Stadt als einem Mosaik von städtischen Dörfern, die sich berühren, sich aber nicht überlappen und nicht vermischen. Man begegnet dem anderen, der einen aufregen könnte, nicht oder wenn doch, dann ist man dafür gewappnet, weil man aus seinem Wohnquartier herausgegangen ist und sich im Zentrum, im öffentlichen Raum der Stadt bewegt. Aber in seinem Wohnquartier ist man in Ruhe gelassen und wird nicht alltäglich konfrontiert mit dieser beunruhigenden Fremdheit.

Brauchen wir auch Einwanderungsquartiere?

Ja, Einwanderungsquartiere sind wichtig für die Integration der Migranten. Sie sind Brückenköpfe einer vertrauten Heimat in der Fremde. Der neu Zugewanderte muss sich sofort als isoliertes Individuum mit dieser Fremdheit auseinandersetzen, einer Fremdheit, die er gar nicht begreift, wo er schon die Sprache nicht spricht. Er braucht Orte, wo er Seinesgleichen findet, die ihm erste Hilfe, erste Informationen über diese fremde Welt geben, die ihn auch schützen vor sozialer Isolation und damit auch vor extremer psychischer Belastung. Die Segregation der neu Zugewanderten in ethnischen Kolonien ihrer eigenen Herkunft ist eine Ressource der Integration.

Gibt es die Gefahr einer Ghettobildung?

In Deutschland von Ghetto oder Bronx zu reden, ist eine unsinnige und im Übrigen nicht folgenlose Dramatisierung. In der internationalen Forschung spricht man von einem ethnisch dominierten Gebiet bzw. von starker ethnischer Segregation, die in der Tat auch negativ folgenreich sein kann, wenn mindestens 40 Prozent der Bewohner eines Stadtquartiers einer Ethnie zugehören. Das müsste also heißen, dass in einem Quartier 40 Prozent Türken wohnen, das gibt es in keinem einzigen Stadtteil in Deutschland. Typisch für Quartiere in Deutschland ist eine ethnisch gemischte Bevölkerung mit einer deutschen Mehrheit. In wenigen Quartieren haben die Zuwanderer die Mehrheit, aber das sind dann ethnisch gemischte, verschiedene Zuwanderergruppen. Also Ghetto oder Bronx, das sind dramatisierende Vokabeln, die im Übrigen sehr folgenreich sein können. Denn wenn ein Viertel einmal ein solches Etikett weg hat, dann passiert genau das, was heute ein Problem der Stadtentwicklung ist: dass wegen der schlechten Adresse die Haushalte, die sich Mobilität leisten können – und das sind die Bessergestellten, die integrationserfolgreichen Zuwanderer und die deutsche Mittelschicht – wegziehen. Das passiert sehr schnell, vor allem bei entspannten Wohnungsmärkten, und es ist kaum steuerbar, weil es auf der freiwilligen Wohnstandortentscheidung privater Haushalte beruht. Dadurch erhöht sich die Konzentration von Problemgruppen in einem Viertel, es entsteht durch eine passive Segregation, durch Zurückbleiben der nicht Mobilen, ein sozialer Brennpunkt. Eine Stadtpolitik tut gut daran, eine solche durch ökonomische oder soziale Diskriminierung erzwungene Segregation zu verhindern. Aber sie muss eine freiwillige Segregation zulassen. Das heißt, keine Quotierung für Migranten in einem Wohnviertel. Und Städte sollen, entgegen der Entwicklung, die wir seit langem beobachten können, in möglichst allen ihren Räumen sozial gebundene Wohnungsbestände haben. Momentan konzentrieren sie sich in den unattraktivsten Bauformen und an den ungeeignetsten Standorten, nämlich am Stadtrand in Großsiedlungen. Und da konzentrieren sich dann die problembeladenen Gruppen und diese Umwelt ist für sie am allerschädlichsten.

Viele haben Angst davor, dass mitten in unserer Gesellschaft Parallelgesellschaften entstehen.

Es gibt solche Tendenzen, aber auch hier muss man sich vor einer Dramatisierung hüten. Was nennt man eine Parallelgesellschaft? Wenn sich eine Bevölkerungsgruppe ein vollständiges Set eigener Organisationen parallel zu den Institutionen der Gesellschaft der Einheimischen verschafft hat. Also nicht ein paar Lebensmittelläden oder eigene Moscheen, also religiöse Parallelität und vielleicht eine Parallelität der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfes, sondern eine eigene Polizei, ein eigenes Rechtssystem, ein eigenes Schulsystem und Ähnliches. Das gibt es hier überhaupt nicht. Natürlich gibt es Tendenzen, zum Beispiel zur Einführung der Scharia. Wenn sie gelingen sollte, wäre das eine Parallelisierung unseres Rechtssystems und für die deutsche Gesellschaft eine inakzeptable Entwicklung. Nur, das gibt es höchstens in kleinen Ansätzen. Parallelgesellschaft ist eine Projektion. Es gibt partiell diese Bedrohungsphantasie, die mit dem Bild der fundamentalistischen Unterwanderung der deutschen Gesellschaft arbeitet. Die Masse auch der Türken, die hier zugewandet sind, leben ein sehr alltägliches Leben unter relativ bescheidenen Bedingungen und wollen sich auch integrieren. Warum kommen die Menschen denn hierher? Man wandert, weil man ein besseres, auch ökonomisch besseres Leben haben möchte. Die Menschen kommen nicht zuletzt auch hierher, weil es eine Demokratie ist. Im Kern nimmt niemand die Anstrengungen und auch die Verluste auf sich, zwischen zwei Gesellschaften und Kulturen zu wandern, wenn er sich nicht etwas Positives von der neuen Kultur für sich verspricht. Mir macht keiner weis, dass das nur die Ökonomie ist. Es ist auch attraktiv, in einem nicht diktatorischen System, in einem demokratischen Rechtsstaat zu leben. Nicht zuletzt deshalb haben wir so viele irakische und persische Flüchtlinge hier.

Unter welchen Voraussetzungen kann eine Stadt das Fremde, die Fremden integrieren?

Ein funktionierender Markt, eine Demokratie, in der jeder seine Meinung äußern kann und diese auch Gehör findet, soweit sie mit der Verfassung übereinstimmt, und ein Rechtsystem, in dem jeder Recht bekommt, unabhängig von Religion, Herkunft, sozialem Status und ökonomischer Potenz. Das sind die wichtigsten Voraussetzungen für Integration. Unser Integrationsproblem ist nicht die Scharia, sondern die Tatsache, dass die Zuwanderer immer weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Es gibt drei Orte, an denen über Integration entschieden wird: Betrieb, Schule und Wohnquartier. Der wichtigste ist der Betrieb. Der klassische Ort der Integration im Ruhrgebiet war die Zeche, nicht der Wohnort. Das Problem ist, dass heute immer weniger Zuwanderer Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Der zweitwichtigste Ort der Integration ist das Schulsystem, da müssen wir nicht darüber reden, dass das seine Integrationsaufgaben im Moment nur sehr unvollkommen bewältigt. Und der dritte Ort ist das Wohnquartier. Da eine gute Integrationspolitik zu machen ist auch deshalb schwer, weil sich soziale Benachteiligung und gewünschte Formen der Nachbarschaft mit Seinesgleichen überlagern. Wenn man dafür plädiert, Einwanderungsquartiere zuzulassen, kann das auch ganz schnell als Entschuldigung dafür dienen, schlechte Wohnquartiere den Zuwanderern zu überlassen. Das Plädoyer, Einwanderungsquartiere als notwendige Stufen im Integrationsprozess zuzulassen, darf nicht als Rechtfertigung für unterlassene städtebauliche Erneuerung in diesen Quartieren dienen.

Gelingt die Integration in deutschen Städten?

Gemessen an den Krawallen in den Banlieus besser als in Frankreich. Das ist auch eine Leistung dieser Gesellschaft und hängt natürlich auch mit dem sozialen Wohnungsbau zusammen, mit einem noch halbwegs funktionierenden Arbeitsmarkt und mit unserer sozialstaatlichen Absicherung. Es hängt aber auch mit etwas Negativem zusammen. Die Unruhen der Jugendlichen in Frankreich werden ja gerade auch mit einer partiell gelungenen Integration erklärt. Sie haben die französische Staatsbürgerschaft, sie sprechen fließend französisch, sie haben das französische Schulsystem durchlaufen und kommen nun auf den Arbeitsmarkt mit denselben Ansprüchen wie ihre eingeborenen französischen Mitschüler und erfahren dann plötzlich, dass sie nicht dazugehören. Dass es bei uns noch ruhig ist, ist auch ein Zeichen noch nicht so weit gediehener kultureller Integration, dass die Jugendlichen mit Migrationshintergrund sich noch bescheiden, sich abfinden mit schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt und im Schulsystem und mit einer schlechteren Wohnungsversorgung. Sie haben noch nicht dasselbe Anspruchsniveau wie die Deutschen. Das wird in der nächsten oder übernächsten Generation anders sein und wenn sie dann weiterhin so weit auf Distanz zu den Chancen und Ressourcen dieser Gesellschaft gehalten werden wie bisher, wenn sie also weiterhin strukturell so weit zurückbleiben, dann werden sie auch anders reagieren.

Was könnte dann die deutsche Politik aus Frankreich lernen?

In dem Maße, in dem Zuwanderer kulturell integriert werden, unsere Normen, Orientierungen und Ansprüche sich zu eigen machen, muss ihnen auch eine strukturelle Integration ermöglicht werden. Strukturelle Integration bedeutet, dass die Zuwanderer dieselben Chancen haben wie die Einheimischen. Das heißt nicht, Abschaffung der Ungleichheiten, das kann sogar mit erheblicher sozialer Ungleichheit einhergehen. Nur, die Ungleichheit der Türken darf nicht größer sein als die der Deutschen. Wenn also zehn Prozent der Deutschen arbeitslos sind, dann ist strukturelle Integration geleistet, wenn höchstens zehn Prozent der Türken arbeitslos sind. Dann haben wir noch immer soziale Ungleichheit, aber keine ethnische Diskriminierung.

Bei Großstadt assoziieren wir immer auch Nacht, Gewalt, Dschungel. Hat die kreative Großstadt auch ihre dunklen Seiten?

In der Diskussion über Kreativwirtschaft und kreative Stadt wird gerne das Bild von kreativen, flexiblen, begabten jungen Professionals gezeichnet, die die Stadt voranbringen. Dass das auch eine negative soziale Seite hat, wird gern vergessen. Für moderne Dienstleistungsstädte ist charakteristisch, dass sich die Stadtgesellschaft sozial polarisiert. Wir haben zwei Segmente auf dem Dienstleistungsmarkt, die expandieren: einmal die hoch qualifizierten, einkommensstarken Arbeitskräfte in Management, Forschung, Entwicklung, Ingenieurswesen. Auf der anderen Seite unqualifizierte, überwiegend weibliche, schlecht bezahlte, in prekären Arbeitssituationen organisierte personenbezogene und haushaltsbezogene Dienstleistung. Beide sind funktional aufeinander bezogen, weil nämlich die hoch qualifizierten Arbeitskräfte ein enorm berufszentriertes Leben führen, gerade auch in der kulturellen Produktion. Das kann man nur, wenn man sich weitgehend von außerberuflichen Verpflichtungen entlastet und eine Möglichkeit ist, dass man aus dem Bereich der informellen Ökonomie und der Migranten sich Putzfrauen, Kinderfrauen, Haushälterinnen einstellt, die einem mit all dem versorgen, wofür früher die traditionelle Hausfrau zuständig war.

Das zweite ist die Banalisierung von Urbanität in dieser Diskussion. In der von Richard Florida angestoßenen Diskussion erscheint Urbanität als besonnte Caféhauskultur mit freundlichen, klugen Menschen, die in der Stadt flanieren und Jazzkeller besuchen und sich freuen, dass es eine tolerante Szene gegenüber Homosexuellen gibt. Aber Urbanität hat auch eine Nachtseite. Zur Urbanität gehören Rotlichtviertel, dazu gehören halblegale bis illegale Aktivitäten der Schattenwirtschaft, zur Urbanität gehört auch der Golem in Prag.

Der Prototyp des Städters ist der Fremde: eine hochambivalente Figur, er ist verlockend, auch sexuell verlockend, und zugleich bedrohlich. Die beiden Archetypen von Stadt sind das heilige Jerusalem und das sündige Babel. Eine urbane Stadt muss beides sein. Kultur ist immer eine Sublimationsleistung von nicht sehr reputierlichen Trieben, von Sexualität und Aggression. Reste davon findet man auch in der kreativen Stadt.

Bremen und Oldenburg sollen eine Metropolregion werden: Wie vital, kreativ und urban ist eine solche Konstruktion?

Das ist eine Kopfgeburt. Im Rahmen der Lissabonstrategie, will man die Lokomotiv-Regionen stärken und hofft, dass sie die Schwachen mitziehen. Abgesehen davon, dass dies eine recht unsichere Hoffnung ist – die Idee einer Metropolregion Bremen-Oldenburg realisiert ja nicht etwas, was historisch gewachsen ist, es ist im Wesentlichen motiviert durch die Hoffnung, als Metropolregion besser an Subventionen heranzukommen. Das heißt nicht, dass es unsinnig ist. Die Kooperation z.B. zwischen den Universitäten Oldenburg und Bremen ist enorm wichtig. Um sowohl in der Forschung als auch in der Lehre konkurrenzfähig zu sein, werden sie noch enger kooperieren müssen. Ein sehr gutes Beispiel ist das Hanse Wissenschafts-Kolleg als eine gemeinsame Institution von Bremen und dem Land Niedersachsen, getragen von beiden Universitäten mit Sitz in Delmenhorst. Schwerer wird sicher eine Kooperation auf der Ebene der Handelskammern sein, schlicht, weil die Wirtschaft etwas mit Konkurrenz zu tun hat. Interessant ist, wie weit es dem Städtemarketing und der Tourismuswerbung gelingt, dies als eine Region zu etablieren. Ganz wesentlich wird auch sein, dass die verkehrliche Verflechtung zwischen den beiden Städten besser funktioniert.

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