PAKISTAN: DER KRIEG ZWISCHEN SCHIITEN UND SUNNITEN IST HAUSGEMACHT: Die Revolution frisst ihre Väter
163 Tote in den letzten neun Monaten und mehrere hundert Verletzte: Das ist nicht die Bilanz des Kampfs gegen al-Qaida, sondern die Zahl der Gefallenen im innerpakistanischen Krieg zwischen Schiiten und Sunniten. Auf insgesamt 4.000 wird die Zahl der Opfer der Fememorde geschätzt, welche die militanten Brigaden beider Glaubensrichtungen verübt haben. Die Gewalt hat keineswegs eine lange Tradition – schließlich war Pakistan die längste Zeit Teil eines Indien, in dem sich alle möglichen Sekten tummeln konnten. Erst als einer der vielen Militärdiktatoren des Landes, Zia ul-Haq, seine Stellung mit dem Deckmantel einer islamischen Revolution absichern wollte, schlug die Distanz in Feindschaft um. Sunniten nahmen die kleine schiitische Minderheit ins Visier. Diese meinten, sich durch Racheakte schützen zu können.
Zias Nachfolger Pervez Musharraf verbot im Januar 2003 die militanten Organisationen beider Richtungen, zusammen mit den Jehadi-Gruppen. Doch die pakistanischen Politiker haben Mühe, dem militanten Jehadismus aller Schattierungen abzuschwören. Die meisten Gruppierungen konnten unter einem anderen Namen weiterexistieren. Der Führer der verbotenen sunnitischen „Freunde der Wächter des Propheten“, Azam Tariq, konnte weiterhin Parlamentsmitglied bleiben, bevor ihn vor einem Jahr das Los vieler seiner Opfer ereilte. In der jüngsten Zeit sind der pakistanischen Polizei eine Reihe von Verhaftungen gelungen, aber sie wurden im Rahmen amerikanischer Täterprofile durchgeführt, die sich auf Mitglieder und Freunde der al-Qaida konzentrieren.
Dabei ist längst erwiesen, dass zwischen den Jehadi-Gruppen in Afghanistan und Kaschmir und einheimischen Sektierern enge personelle und ideologische Verbindungen bestehen. Der vor kurzem erschossene Hasnain Farooqi war nicht nur ein Mitglied von al-Qaida. Er war auch der ehemalige Chef einer radikalen Sunniten-Organisation. Und er war es, der die beiden Attentate auf Musharraf im Dezember 2003 geplant hatte. Manchmal frisst die Revolution eben nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihre Väter. BERNARD IMHASLY
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