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avanti brokkoli! von JÜRGEN ROTH

Wäre die Welt vernünftig und nach den Maßgaben der „Theorie des Marxismus-Kommunismus“ (Helmut Kohl, zirka 1992) eingerichtet, die Menschen äßen im Grunde wenig anderes als Kohlgemüse.

Das ist natürlich erst mal eine These, die aber nicht schlecht ist. Zudem ist es so, dass diese gute These schon allein mit der unglaublichen Vielfalt der weltweit gehandelten Kohlsorten aufs Beste harmoniert.

Da gibt es also zum Beispiel den bekannten, zu Klops und Roulade gereichten Rotkohl, dem der menschewikische Weißkohl opponiert. Rotkohl: These. Weißkohl: Antithese. Synthese: Kohl rot-weiß, das heißt: Braunkohl (oder Schwarzkohl).

Natürlich schickt sich auch der Chinakohl an, die Stelle der höheren Wahrheit einer Vermählung von gesellschaftlicher Rationalität und kulinarischer Krönung einzunehmen, doch die Meinungen sind hier noch nicht ganz einhellig, weshalb gewisse österreichische Küchenkreise und sonstige Parteiungen politisch gleichwie praktisch (bzgl. Verarbeitung, Zubereitung und Darreichung) dem Krauskohl den Vorrang einräumen. Im Amerikanischen dominiert dagegen der Federkohl (an der Westküste auch der Zierkohl), während unter den Südostasiaten eine weit verbreitete und noch gröbere Konzept- und Kopflosigkeit herrscht und zwischen Stängelkohl, Meerkohl, Rosenkohl und Winterkohl (Importware) kaum näher unterschieden wird.

Diese heillose Verwirrung und kontraproduktive Kohldissonanz vermag nur ein ganz bestimmtes Kohlgemüse zu überwinden. Nein, die Rede kann hier, trotz aller konzedierbaren Vorzüge, gewiss nicht vom Winterweißkohl sein, auch der Wirsing kommt da nicht in Frage, geschweige denn der norddeutsche Grünkohl, der bayerische Kohlrabi oder der völlig indiskutable Blattkohl. Manch einer denkt schon eher und mit recht starken Argumenten an den Blumenkohl, allein, es ist sein Bruder aus der Familie der blühenden Kohlsorten, der Brokkoli, der uns Rettung und ein gargantueskes Schlemmen ohne Ende, Reue und Ranzen (i. e. Kohlbauch, Fettleibigkeit usw.) verheißt.

Warum? Nun, Brokkoli schmeckt und ist ganzjährig erhältlich. Im ursprünglich kleinasiatischen Brokkoli tummeln sich endlos viele Vitamine, keinerlei ins Gewicht fallende Fette, Mineralstoffe vom Natrium bis zum Eisen sowie die erstklassigen b-Karotine. Der feste, geschlossene Blütenstand wird mitsamt den Stielen kurz und unzerteilt gekocht, und fertig ist die Lauge. Das kann jeder.

Es empfiehlt sich, einen so lustvoll leuchtenden Berg Brokkoli mit Parmesan zu bestreuen oder als Tomaten-Zwiebel-Brokkoli-Kombinat zu kredenzen. Streng zu meiden sind Schweizer Rezepturen wie diese: „Brokkoli kann als Dip-Gemüse oder als Gemüsebeilage mit einer Sauce serviert werden. Gut passen Sauce hollandaise, eine Béchamel- oder eine Käsesauce.“

Ächten wir alle sinnwidrigen Übertünchungen und Übertunkungen des edlen Blütengemüses Brokkoli, so steht dem globalen Durchbruch des Brokkolibrunchings zumal im Sinne der Weltvernunft nichts mehr im Wege. Einen möge der Brokkoli die Menschheit, versöhnen und laben! Vorwärts!

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