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Unendliche Entfernung

Sie inszenierte keine Einzelschicksale, sondern ein Spektrum weiblicher Charaktere: die japanische Regisseurin Tanaka Kinuyo. Das Frauenfilmfestival Feminale widmete ihr jetzt seine Retrospektive

VON ANNETT BUSCH

Im Kinosaal des japanischen Kulturinstituts in Köln hängen große Schwarz-Weiß-Bilder. Eines sieht aus wie ein Klassenfoto. Es wurde Anfang der 60er-Jahre aufgenommen, zu Feierlichkeiten der Gesellschaft der Regisseure. Man sieht vier, fünf lange Reihen streng dreinblickender Herren in Anzügen. Tanaka Kinuyo sticht aus dem homogenen Grau hervor, weil sie als Einzige einen hellen Kimono trägt. Aus diesem Grund entstanden Frauenfilmfestivals: um ins Zentrum zu rücken, was andernorts nur am Rande steht, um all die Einzelkämpferinnen zusammenzubringen, zu neuen Gruppenfotos. Zugegeben, Zeit und Veränderung sind seither ins Land gezogen, doch, um auf der asiatischen Insel zu bleiben: Wie viele Namen kennt man heute denn schon von japanischen Frauen, die hinter der Kamera arbeiten?

Die Tanaka Kinuyo (1909–77) gewidmete Retrospektive wurde vom japanischen Kulturinstitut in Kooperation mit der Feminale realisiert. Im schmalen, doch feinen Programmheft bringt der Filmkritiker Olaf Möller einen entscheidenden Aspekt auf den Punkt: Tanaka Kinuyo „gehört sicherlich nicht zur Linken, der Rechten lässt sie sich aber auch nicht zuordnen. Letztendlich geht es auch weniger um Rechts und Links als um Neu und Alt, um Veränderung und Konservation. […] Tradiertes zu bewahren, während sie nach neuen Wegen in eine fortschrittlichere Zukunft sucht. Wichtig ist hier das ‚während‘, die Gleichzeitigkeit des Schützens wie des Vorpreschens: Sie sucht nach einer Mitte, einer Balance, von der man nicht weiß, ob sie überhaupt verlustfrei zu finden ist.“

„The Moon has Risen“ (1955) ist die zweite Regiearbeit von Tanaka Kinuyo. Das Buch stammt von Yasujiro Ozu, der es der Freundin und Kollegin als Einstiegsgeschenk zu ihrer neuen Karriere vermachte. Und es wird kein Zufall sein, dass „The Moon has Risen“ der einzige Film der insgesamt sechs ist, die Tanaka Kinuyo drehen konnte, der die Leichtigkeit einer Soap hat und so etwas wie ein intaktes familiäres Miteinander entwirft. In die formale Strenge japanischer Inneneinrichtung, zwischen Schiebetüren und leise trippelnden Füßen, setzt Tanaka Kinuyo eine vorlaute, überschwänglich agierende junge Frau, Setsuko, die sowohl das Familienoberhaupt als auch den Freund, Shiji, eher blass aussehen lässt.

Von einer klassischen Halbtotalen, die Setsuko von der Seite, auf dem Boden kniend, im Gespräch mit Shiji und dessen Freund zeigt, springt die Kamera recht unvermittelt hinter Setsuko. Den Rücken von Setsuko im Anschnitt, scheint jene Einstellung eine unendliche Entfernung zwischen den Geschlechtern hervorzuheben, die von der Seite der Frau aus überwunden werden muss. Was eben noch wie harmloses Alltagsgeplänkel aussah, sieht im nächsten nach enormer Anstrengung aus, überhaupt mitreden und mitmischen zu dürfen. Später erst erfahren wir, dass sich Setsuko in Shiji verliebt hat. Dass Liebende zusammenfinden und damit der Film der Dramaturgie nach ein glückliches Ende hat, auch das gibt es nur im Drehbuch von Ozu. Liebe realisiert sich bei Tanaka Kinuyo nur auf Distanz, als Sehnsucht und Unmöglichkeit. Familienalltag hingegen, wie sie ihn zeigt, hat eher mit Alkoholismus, Frustration und Betrügereien zu tun.

Tanaka Kinuyo, die seit 1924 vor der Kamera stand und bis 1976 in über 100 Filmen mitspielte, werden die meisten als Mizoguchis Lieblingsschauspielerin kennen, nicht zuletzt in der tragischen Rolle der Oharu in „The Life of Oharu“. Aus ihrer Perspektive hinter der Kamera schien sie weniger daran interessiert, neue weibliche Stars in bewegenden Einzelschicksalen zu schaffen, sondern richtete ihr Augenmerk eher auf Zusammenhänge. Sie inszenierte in ihren wenigen Filmen ein ganzes Spektrum weiblicher Charaktere, in Haupt- wie Nebenrollen, die weder klein beigaben noch emanzipierte Vorbilder im westlichen Sinne waren. „Girls of the Night“ zum Beispiel spielt Ende der 50er-Jahre, zu jener Zeit, als man in Japan per Gesetz die Prostitution verbot. Frauen, die dennoch bei der Arbeit erwischt wurden, kamen in Erziehungsanstalten und sollten auf Resozialisation vorbereitet werden. Man mag an Women-Prison-Movies denken. Denn von Haareziehen bis zu Andeutungen lesbischer Verhältnisse, von milde gestimmten Direktorinnen bis fiesen Kolleginnen ist alles dabei – gefilmt jedoch in bestechend ausgeleuchtetem Schwarz-Weiß, von Trash keine Spur. Dass es nicht um das Leben von einer geht, sondern um eine beschissene Situation, die viele etwas angeht, daran lässt Tanaka Kinuyo keinen Zweifel.

Doch es gibt auch einige Männerfiguren in ihren Filmen – und die freundschaftlich gesinnten dürfen im entscheidenden Moment immer wieder einen wichtigen Satz sagen: „Try hard“. Ein Satz, der hier stets die berufliche oder künstlerische Tätigkeit der Frauen unterstützen will. Ein Satz, den Tanaka Kinuyo möglicherweise mehr als einmal gehört hat. Sie wusste wohl, wie wichtig die kameradschaftliche Unterstützung der Kollegen in den grauen Anzügen war.

Das Japanische Kulturinstitut in Köln zeigt noch bis zum 20. Dezember Filme der Regisseurinnen Tanaka Kinuyo, Haneda Sumiko und Kawase Naomi; Programm unter www.jki-koeln.de

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