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Unruhen in Haiti: Lavalas ist wieder da

In Haiti sind die Anhänger des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide wieder auf dem Vormarsch, lautstark und gewalttätig. In Gonaïves, der Hochburg ihrer Gegner, kämpfen die Menschen noch mit den Folgen der Flutkatastrophe

Bei Protesten mit dem Namen „Opération Bagdad“ wurden 17 Personen erschossen

BERLIN taz ■ In der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince haben sich die Anhänger des Ende Februar mit US-Hilfe gestürzten Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide lautstark und gewalttätig zu Wort gemeldet. In den vergangenen zwölf Tagen sind bei Protestaktionen der Chimère, der militanten Anhänger des derzeit im südafrikanischen Exil Lebenden, mindestens 46 Menschen getötet worden.

Allein am Montag und Dienstag wurden bei den Protestaktionen mit dem makabren Namen „Opération Bagdad“ 17 Personen erschossen. Seit Ende September demonstrieren fast täglich die Lavalas-Mitglieder in den Straßen der 2,5-Millionen-Einwohner-Metropole. Sie fordern die Rückkehr Aristides und den Abzug aller ausländischen Soldaten. Nach Polizeiangaben sei aus der Menge heraus geschossen worden, drei Polizisten starben durch Kugeln. Die Leichen von zwei Polizisten waren bereits Anfang des Monats in einer Vorstadt der Hauptstadt gefunden. Sie seien enthauptet worden, berichtete der haitianische Polizeichef Leon Charles im Rundfunksender „Radio Metropole“.

Eigentlich soll seit Juni die UN-Blauhelmtruppe für Sicherheit sorgen. Allerdings ist erst die Hälfte des 6.700 Soldaten zählenden Militärkontingents in Haiti eingetroffen.

Nachdem die Metropole der Anti-Aristide-Aufständischen, Gonaïves, von einer Flutwelle heimgesucht wurde, wittern die Lavalas-Aktivisten möglicherweise Morgenluft. Über 3.000 Tote sind in der Stadt zu beklagen, in der der Aufstand gegen Aristide begann. In der Rebellenhochburg kämpfen die Menschen derzeit ums Überleben: Es gibt kein Wasser, Lebensmittel sind knapp und die UN-Blauhelmsoldaten müssen Nahrungsmittel- und Wassertransporte schützen, denn in Gonaïves kommt es seit Tagen aufgrund der schlechten Versorgungslage zu Hungerrevolten.

Inzwischen äußern sich Lavalas-Verantwortliche auch wieder. Antoine Augustine, Mitglied der historischen Organisation Populaire Lavalas (OPL), hofft auf eine neue Basisbewegung. „Wir müssen die Basis wieder aktivieren und in Bewegung bringen“, sagt der 46 Jahre alte Soziologe, der an der Ethnologie-Fakultät der staatlichen Universität in Port-au-Prince lehrt. Auch sein Kollege Gabriele Frederic, ein 41-jähriger Politologe und ehemaliger Lavalas-Repräsentant in Frankreich, setzt auf eine neue Massenbewegung, die die alten sozialen Ziele der Lavalas-Bewegung wieder aufgreift. Allerdings kritisieren beide die Korruption und die Ausschreitungen der Chimère unter der Regentschaft von Exstaatspräsident Jean-Bertrand Aristide: „Es gab keine Kritik. Wir haben halt nicht laut genug geschrien“, gesteht Augustine selbstkritisch ein. „Das war unser Fehler.“

Solch selbstkritische Worte sind Emmanuel Cantave viel zu defensiv. Es sei nicht um die Unterdrückung berechtigter Opposition gegangen, sagt der 40-jährige Jurist. Vielmehr hätten die Militanten auf die Bedrohung des Staates durch die reaktionäre Opposition reagiert. Gegen friedlichen Protest der damaligen Opposition habe es keine gewaltsamen Übergriffe gegeben, versichert Cantave, „aber wenn jemand gegen den Staat die Waffen erhebt, dann muss man den Staat und sein Land verteidigen“.

Rund ein Dutzend führender Lavalas- oder ehemaliger Regierungsmitglieder sitzen inzwischen in Haft, gegen andere wird ermittelt. Sie sollen extralegale Hinrichtungen angeordnet und Übergriffe von Lavalas-Gefolgsleuten gegen Oppositionelle angeordnet haben. Am bereits konstituierten provisorischen Wahlrat, sagt Cantave, werde Lavalas sich nur beteiligen, wenn die politischen Gefangenen befreit und die Verfolgung von Lavalas-Mitgliedern beendet werde.

HANS-ULRICH DILLMANN

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