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Village VoicePlatten auf Verlangen: Fan-Label macht historische Begegnungen mit Die Tödliche Doris, Frieder Butzmann und Exil-System möglich

Die Tödliche Doris: „Fallers-leben“www.vinyl-on-demand.com

Jetzt, liebe Leser, geht es ganz tief hinab in den Keller des Berliner Untergrunds, in dem über die Jahre fast vergessen noch ein paar Kisten aus der heroischen Zeit des Genialen Dilletantentums herumstanden, die nun ausgepackt werden. Die Taschenlampen bereit? Finstere Umgebung hier, in der einen zuallererst das seltsame Schimmern von Die Tödliche Doris lockt.

„Fallersleben“ nennt sich die Platte, und versprochen wird die „Rückführung eines im Äther verschollenen Konzertes vom 3. Februar 1981 mit Hilfe eines Computerpsychophons im Sommer 2004“. Alles unklar? Also erst mal die sachdienlichen Hinweise: Als Abspielgeschwindigkeit (es handelt sich hier heute ausschließlich um Vinyl) ist 45 U/min angegeben. Kann man sich auch daran halten, obwohl man bei der langsameren Geschwindigkeit etwas längeren Spaß hätte, und wer wirklich meint, mit der korrekten Anwendung des Tonträgers (richtige Umdrehungszahl, angeschlossene Boxen etc.) würde er hier eine Super-Liveaufnahme von den abgründigen „7 tödliche Unfälle im Haushalt“ und drei weiteren Songs hören, hat sich bei der Doris geschnitten. Da rauscht und pfeift es um Spurenelemente der versprochenen Lieder, die selbst intime Doris-Kenner erst herausfiltern müssen aus dem ungestalten Lärm, der dieser Gruppe den Ruf eingebracht hat, so verdienstvoll wie unhörbar zu sein. Da wird man matt, da kann man gar nicht anders: Das will man haben, gerade weil es keinen vernünftigen Grund dafür gibt.

Geduld und Spucke braucht man auch für „Wunderschöne Rückkoppelungen“ von Frieder Butzmann, aus der frühen Jugend des Künstlers. Aufnahmen von 1969 bis 71, die genau das sind: Rückkopplungen. Nicht als die expressive Geste, wie es Rockgitarristen in Zwiesprache mit ihren Verstärkern machen, sondern als locker kontrolliertes Surren und Pfeifen, mit Radio-Wellenswitchen und über Sprechfunk mitgeschnittenen Gesprächsfetzen versetzt. Einfach aus der unbekümmerten Lust an Klangerzeugung heraus, die hier hörbar gemacht wird und dabei sogar zu manchen verblüffenden (soll man sagen: schönen) Ergebnissen kommt, die sich die aktuelle Elektroszene mal anhören sollte.

Das ist alles was für das sonische Abenteurertum, während Exil-System (bei denen auch Alex Hacke aktiv war) mit „1979–2004“ (ist aber bis auf ein Remix nur altes Material) doch mehr was für echte Geschichtsforscher ist. Im Gegensatz zu Butzmann und Doris ist hier das Aufnahmedatum genau heraushörbar, halt New Wave mit Synthie-Schlag, was Anfang 80 der letzte Schrei war und für heutige Ohren dementsprechend gealtert klingt. Eine Mischung aus Depeche Mode, David Bowie und Dorfdisko. Ergibt Westberlin. Und exakt lässt sich bestimmen, welche einst angesagte Hip-Platte man dort jeweils gerade im Proberaum gehört hat, was ja auch wieder ein Spaß ist, den der Frank Maier erst möglich gemacht hat, mit seinem Vinyl-On-Demand-Label, bei dem all das in limitierten Hunderterauflagen erschienen ist. So stellt man sich Plattenbosse gern vor: als Fans, die Fans die Freude schenken. Für lächerliche 14 Euro pro Scheibe. THOMAS MAUCH

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