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Der Colette die Bühne

Prunksters (4) – Die wöchentliche Kolumne aus den USA von Henning Kober. Heute: Mädchen gegen Champagner

Willkommen am einsamsten Ort der Welt, der westlichen. Es ist Nacht, Beschleunigung zieht und bremst durch den Magen. Der Schleuderer trägt den Namen „Airtrain“. Ein Magnetgleiter, der die neun Terminals des John-F.-Kennedy-Flughafens verbindet. Rundherum immer im Kreis. Ich fahre schon die dritte Partie. Das Innendesign ist foltergrau. Mir gegenüber eine schlafende Asiatin in Pucci. Ein Mann mit Cowboy-Hut schreit in sein Handy. Draußen wirrer Lichterkrieg. Um einen El-Al-Jumbo stehen Panzer. Rot blinkende Positionslichter ziehen Diagonalen durch den Himmel. Nancy Sinatra spielt ins Ohr. Es fühlt sich an, als drücken ihre valiumkühlen Hände an meinen Hals. Raus hier, Halt an Terminal 5. Eine kühn geschwungene Betonmuschel, Kathedrale des Jet-Zeitalters, durch die Leonardo DiCaprio in „Catch Me If You Can“ in den Horizont spazierte. Jetzt roter Teppich, Blitzlichtgewitter, kreischende Hula-Damen. Eine Party des Visionaire-Magazins anlässlich einer Ausstellungseröffnung in dem inzwischen unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen TWA-Abfertigungsgebäude. Irgendwo steht Kunst von Jenny Holzer, Douglas Coupland, den McCoy’s. Es ist kurz nach zehn und niemand interessiert sich dafür. Die Gäste, Marianne Faithfull-Mädchen und Comme-des-Garçons-Jungen, sind wild entschlossen, den fernen Morgen in goldene Scherben zu splittern. Die Nacht trägt die Farben Schwarz und Weiß. An der Bar schlägt mir eine kleine bleiche Hand den Cristal aus der Hand. „Champagner verdirbt den Atem“, spricht der Mund eines Mädchens. Über den Brüsten trägt sie auf das schwarze Shirt gedruckt ihren Namen: Colette. Um den Hals liegt ein toter Fuchs. Sie reicht Ersatz, einen Scotch-Soda, und verschwindet. „Yo eh, have ’u seen the grace’s stage.“ Die Worte spielt Moses, der gerade aus San Diego angekommen ist und dem ein goldenes Alien um den Hals blitzt. Wir kreuzen den Confidential Club, früher plüschig roter Warteraum der Vielflieger, jetzt nach Mensch duftender Dunkelraum. Rennen durch eine weiße Röhre hellem Flatliner-Licht entgegen. Wiedersehen mit der Colette. Eine weiße Gitarre um die schmale Hüfte, die Augen zu weiten Kometen verdreht, steht da ein heiliges Ungeheuer. Sie schreit: „I’m a sheep, a black black sheep, my feet are diamonds.“ Fotografen blitzen. Moses öffnet seine Überlebens-Handgelenktasche. Schnappt ein Schwefelholz an den Daumennagel und verbrennt ein kopiertes Madonna-Autogramm.

prunksters@taz.de

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