piwik no script img

Nur die Gegenwart zählt

Solange die Saison in der Eishockeyliga NHL wegen des Arbeitskampfes ausgesetzt ist, spielt Marco Sturm in Ingolstadt, wo er nicht nur für Scorerpunkte, sondern auch für viel Wirbel sorgt

AUS KÖLN CHRISTIANE MITATSELIS

Auch ein NHL-Star hat ein Recht auf schlechte Laune, und so brauste Marco Sturm am Sonntagnachmittag in Diven-Manier flugs vom Eis in die Kabine. Kein Kommentar. Es war ein Wunder, dass er nicht die Tür zuknallte. Hans Zachs Kölner Haie hatten dem Angreifer, der zurzeit für den ERC Ingolstadt spielt, nachhaltig die Laune versaut – 2:0 für den KEC lautete das Ergebnis im DEL-Spitzenspiel in der Kölnarena. 10.053 Zuschauer waren gekommen, obwohl gleichzeitig der 1. FC Köln spielte. Marco Sturm war sicher einer der Gründe für dem ordentlichen Besuch in der Deutzer Arena.

Der 26-Jährige überbrückt die Zeit des Arbeitskampfes in der National Hockey League in Ingolstadt. Und wenn er nicht gerade ein Spiel verloren hat, ist er ein freundlicher bayerischer Bursche, der gern auch ein bisschen aus seinem Leben erzählt. Zum Beispiel spricht er vom Rummel, den seine Verpflichtung in Ingolstadt ausgelöst hat. Seit Anfang September hat Sturm keine Ruhe mehr, eilt von einem Termin zum anderen. „Ja, es ist schon viel, aber ich habe auch viel Spaß hier“, berichtet er. Und er weiß eigentlich ganz gut, warum alle gerade von ihm etwas wollen.

Marco Sturm, der 1997 als 19-Jähriger nach Nordamerika ging und seither 128 Tore in 568 Spielen für die San José Sharks schoss, ist der beste deutsche Eishockey-Profi – ein technisch brillanter Angreifer, schnell und ausgestattet mit einer überragenden Fähigkeit, das Spiel zu lesen. Ex-Bundestrainer Hans Zach, der Sturm noch aus dessen Anfangsjahren beim EV Landshut kennt, erinnert sich: „Er hat schon mit 17 voll in der Liga gespielt. Marco kann unglaublich schnell von Angriff auf Abwehr umschalten.“

Natürlich fühlen sich Marco Sturms Gegenspieler in der Deutschen Eishockey-Liga herausgefordert, dem NHL-Star zu zeigen, dass sie auch etwas können. Die Kölner Kanadier Alex Hicks (35), Jean-Yves Roy (35) und Dave McLlwain (37), die es in jüngeren Jahren auf insgesamt 840 NHL-Spiele gebracht haben, drehten jedenfalls voll auf und taten alles, um Sturm in der Entfaltung seiner Künste zu behindern. Mit Erfolg. Nur in wenigen Momenten blitzte das Talent des Angreifers auf – meist im Powerplay, wenn er sich mit seinem Sturmpartner Andy McDonald, sonst bei den Anaheim Mighty Ducks, präzise und schnell die Scheibe zupasste.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte Sturm noch verkündet, er könne sich schwer vorstellen, jemals wieder in Deutschland zu spielen. Die Aussperrung in der NHL machte nun sein Engagement in Ingolstadt möglich. „Sie haben sich am intensivsten um mich bemüht“, sagt Sturm: „Ich halte mich hier fit, die Jungs sind nett.“ Außerdem kann er mit Frau und Sohn wie früher im 70 Kilometer entfernten Landshut wohnen. Der Kontakt zum Klub kam über Ingolstadts Manager Wagner zustande, der früher in Landshut tätig war. Was alte Freundschaft möglich macht: In San José verdiente Sturm zuletzt zwei Millionen Dollar, in Ingolstadt spielt er für ein Zehntel.

Niemand weiß, wie lange der NHL-Arbeitskampf dauern wird. Vielleicht bis Weihnachten, vielleicht bis Januar, vielleicht fällt die Saison ganz aus. Die Ingolstädter haben sich zwei Ausländerlizenzen für Nachverpflichtungen freigehalten, doch mit Sturms Abgang will sich Wagner derzeit nicht befassen. Der Manager betrachtet die pure Präsenz des NHL-Stars als Wert an sich: „Egal, wie lange Marco bleibt, ein Spieler wie er ist auf jeden Fall ein Gewinn für uns. Im Sport zählt doch nur die Gegenwart.“ Und die sieht erfreulich aus: 13 Scorerpunkte in elf Begegnungen hat Sturm für die Ingolstädter schon gesammelt.

Sieben Jahre sind vergangen, seit Marco Sturm in die NHL ging. Wie hat sich die DEL seitdem entwickelt? „Ich war überrascht“, berichtet er, „wie gut hier inzwischen gespielt wird. Das Niveau hat sich deutlich verbessert.“ Aber natürlich sei die NHL das Nonplusultra. „Die kleine Eisfläche macht den Unterschied. In der NHL wird einfach schneller und körperbetonter gespielt.“ Und bei allem Spaß, den er in Ingolstadt hat, sagt er doch: „Natürlich hoffe ich, dass in der NHL bald wieder gespielt wird.“ In Ingolstadt wird dann wieder Ruhe einkehren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen