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Gegen die Verschwörung des Schweigens

Auf einer Konferenz in Berlin suchen 200 Teilnehmer aus aller Welt Wege zu einem gerechten internationalen Agrarhandel. In der Kritik sind sie sich einig. Strittig ist die Frage, ob stärkere Liberalisierung wirklich allen Ländern mehr Wohlstand bringt

VON BEATE STRENGE

Pamela Fayle, die Botschafterin Australiens in Deutschland, hat eine Vision: Der Welthandel mit Agrargütern sollte von allen Subventionen befreit werden. „Je mehr die Märkte liberalisiert sind, desto gerechter wird der Handel, desto weniger Hunger gibt es in Entwicklungsländern“, sagte Fayle auf der internationalen Konferenz „Politik gegen Hunger“, die zur Zeit in Berlin tagt. Eingeladen hat das Bundeslandwirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt, dem Entwicklungshilfe- und Wirtschaftsministerium. Das Ziel: Die 200 Teilnehmer aus 70 Ländern sollen Handlungsempfehlungen erarbeiten für die Agrarverhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO).

Nach den neuesten Zahlen der Welternährungsorganisation FAO legten im Weltagrarhandel viele Entwicklungsländer deutlich zu – allen voran Brasilien. Die 70 ärmsten Länder der Welt seien aber noch ärmer geworden.

Die großen Chancen für die Entwicklungsländer würden meist unterschätzt, monierte Liberalisierungs-Befürworterin Fayle aus Australien. Sie prangerte zugleich die hohen Exportsubventionen der Industrieländer für ihre Landwirtschaftserzeugnisse an – eine Milliarde Dollar täglich. Eine Kuh in Japan werde mit 7,50, eine Kuh in der EU mit 2,50 Dollar am Tag bezuschusst, während viele Menschen weniger zum Leben hätten.

In der Kritik am jetzigen Agrarhandel waren sich die Teilnehmer einig, nicht aber in der Hoffnung auf eine radikale Liberalisierung. Als schärfste Kritikerin profilierte sich die indische Wissenschaftlerin Utsa Patnaik von der Jawaharlal-Nehru-Universität in Neu Delhi. Der Druck des Weltmarktes habe in Indien seit den 90er-Jahren zu mehr Hunger und Armut auf dem Land geführt. Zwar exportiere Indien mehr als früher, zum Beispiel Weizen als Futter für Rinder in der ersten Welt. Aber zu Hause blieben viele Mägen leer. Fast 55 Prozent der Landbewohner müssten mit weniger als 1.870 Kalorien auskommen, die Kaufkraft auf dem Land sei zusammengebrochen. Tausende von Bauern hätten wegen Überschuldung Selbstmord begangen – allein 2002 über 5.000.

Auch in den Philippinen habe das WTO-Abkommen von 1995 katastrophale Auswirkungen wie Landflucht, Armut und Entwurzelung, sagte der Globalisierungskritiker Walden Bello, Professor für öffentliche Verwaltung und Soziologie in Manila und Träger des alternativen Nobelpreises. Sein Land werde nun mit Importen von Mais und Gemüse zu Dumpingpreisen überschwemmt – und auch mit hochsubventionierten Hähnchen aus den USA, die nur die Hälfte kosteten wie die einheimischen. Die Folge: Viele philippinische Erzeuger sind pleite. Auch von einem reellen Freihandel hält Bello nichts. Dieser mache nur die Reichen reicher. China, Taiwan oder Südkorea seien nicht durch Freihandel, sondern mit Hilfe von Schutzbestimmungen stark geworden.

Nach Einschätzung der kenianischen UN-Botschafterin, Amina Mohamed, gibt es aber auch Chancen für die Entwicklungsländer. Sie lägen in der differenzierten Behandlung einzelner Länder beim Welthandel, die nach dem WTO-Rahmenabkommen vom Juli dieses Jahres möglich sei. Es sieht so genannte sensible Bereiche vor, mit dem alle Länder lebensnotwendige Produkte schützen können. Die Entwicklungsländer sollten dies nutzen und mehr Selbstbewusstsein bei den WTO-Verhandlungen zeigen. „Wir haben bisher nur reagiert, nicht gefordert. Wir müssen die Verschwörung des Schweigens durchbrechen“, forderte die Kenianerin.

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