: Eine gewaltige, brüskierende Tat
betr.: „Struck wählte den schnellen Schnitt“ „Struck putzt, Union stutzt“, taz vom 5. 11. 03, „Christenstreit um Judenhass“, taz vom 6. 11. 03 u.a.
Mir sind antisemitische Äußerungen – von wem auch immer – zuwider. Dennoch ist festzuhalten, nicht alles, was antisemitisch „verkauft“ wird, ist schon antisemitisch. Leider wird sowohl in der Presse als auch in der Politik wie im Alltag oft undifferenziert mit Begriffen umgegangen. Dennoch – oder gerade deshalb – bin ich erstaunt über den Schnellschuss, den Verteidigungsminister Struck gegen General Günzel abfeuerte.
Denn es ist mir nicht bekannt, dass seit seinem Amtsantritt als Verteidigungsminister Herr Struck auch nur eine Bundeswehrkaserne, die noch den Namen eines Hitleroffiziers trägt, umbenannt hätte. Nur auf massiven Druck hin hat der eine oder andere Vorgänger einer Umbenennung zugestimmt. Und wer wollte und dürfte glauben, das es nur Hitlergeneräle gab, die nicht antisemitisch waren? […] Solange Verteidigungsminister Struck Kasernen mit Namen von Offizieren, die im Hitlerdeutschland gedient haben, nicht umbenennt, solange ist dieser Schnellschuss gegen Herrn Günzel ein Schuss mit einer Kanone auf einen Spatzen und eitles Tun. EDUARD BRYCHLIK, Merkelbach
„Es handelt sich hier um einen einzelnen verwirrten General, der einer noch verwirrteren Auffassung eines CDU-Bundestagsabgeordneten zugestimmt hat“, sagte Struck. […] Solche Verharmlosungen bewirken aber nur eins: Rechtsradikale Äußerungen als dysfunktionale Entgleisungen von ein paar Narren herunterzuspielen. Unsere Gesellschaft denkt mehrheitlich hygienisch einwandfrei, pfeift es aus dem dunklen Keller. Alles im Griff. Vergessen schon die Progrome der neuen Nazis in Ostdeutschland gegen Juden, Ausländer und Behinderte. Schon unter dem oft bemühten Teppich, die Bombenbastler von München, die vor ein paar Wochen beinahe einen spektakulären Auftritt hatten. Das, was einem Angst einjagen sollte, ist nicht die Reanimation der alten Hitler-Phrase vom „jüdischen Bolschewismus“, sondern der Glaube von Hohmann/Günzel und anderen, dies eigentlich wieder als „eigene“ Meinung „zivilcouragiert“ mehr oder minder öffentlich aussprechen zu dürfen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen! Eines Tages, so die Rechnung, wird man es doch wieder sagen können. […] ULF DRESSLER, Wedel
In ihrem ganzen Aufbau ist diese Rede aus meiner Sicht perfide. Herr Hohmann bereitet das Antisemitische in seiner Rede kühl kalkuliert, bewusst und berechnend, bis hin zu seinem eigentlichen „Anliegen“, systematisch vor. Dabei will er den Eindruck erwecken (und da wird es in der Tat unerträglich), dass sowohl die Deutschen als auch die Juden weder ein Täter- noch ein Opfervolk sind, die Juden aber hinsichtlich der Geschichte dennoch auch als Täter bezeichnet werden können. Arglistiger, hinterhältiger und gemeiner kann es gar nicht ausgedrückt werden.
Nach der Devise, eigentlich sind wir ja alle unschuldig, Deutsche wie Juden, wenn wir das jedoch nicht sind, dann sollen sich die Juden dennoch mit Vorwürfen zurückhalten, sie haben ja selbst genug Dreck am Stecken. Das ist Antisemitismus der allerschlimmsten Sorte, ekelhaft, widerlich. KLAUS ZINNER, Bochum
Herr Hohmann will sich von den Folgen der zwölf Jahre Naziherrschaft, insbesondere von der Last des ewigen Vorwurfs befreien – welcher Last? Eine wirkliche Last ist nur der Tätervorwurf. Die Täter sterben aber aus, und niemand wirft den Jüngeren ernsthaft die Verbrechen der Nazis vor. Was meiner Meinung nach aber völlig zu Recht vorgeworfen bzw. von der deutschen Bevölkerung erwartet wird, ist etwa die Garantie der Unversehrtheit des Leibes und Lebens jüdischer Bürger. Wie groß die Bedrohung tatsächlich ist, kann man erfahren, wenn man sich die notwendigen Schutzmaßnahmen vor jüdischen Einrichtungen und Geschäften betrachtet, die bis zur Aufstellung gepanzerter Fahrzeuge reichen.
Was wohl ebenfalls erwartet wird, ist ein sensibler Umgang mit den Opfern bzw. deren Nachfahren, heißt: Es herrscht Meinungsfreiheit, aber jeder ist für das, was er tut und sagt, verantwortlich. Wenn klar ist, dass eine Äußerung oder Handlung – wie sinnig oder unsinnig sie auch sein mag – garantiert Wut und Schmerz hervorruft, dann unterlässt man sie. Wer sich trotzdem äußert, will nichts anderes als gezielt verletzen.
Was vielleicht gar nicht mal erwartet, aber bestimmt doch erhofft und inständig herbeigesehnt wird, ist das Verschwinden der tief sitzenden antijüdischen Gefühle in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung, auch in intellektuellen, auch in linken oder grünen Kreisen. Das alles ist in meinen Augen aber weniger eine Last als vielmehr eine Aufgabe, ist Arbeit. Arbeit kann man anpacken, und selbst wenn’s ein ganzer Berg ist, kann man ihn nach und nach abtragen – und muss eben nicht, wie ich es aus den Äußerungen der rechten Vergangenheitsbewältiger herauslese, durch eine gewaltige, alle Welt brüskierende Tat abgeschüttelt werden wie etwas, das man auf keine andere Art loswerden kann. Man kann es anders loswerden. Man muss es nur endlich anpacken.
UWE ZIMMER, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen