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Raucherlunge, vierfarbig

Die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln folgen einem strengen Vorschriftenkatalog. Im Ergebnis sind sie skurrile Kurzkrimis im Gruftilook. Bald werden sie wohl auf Sammlerbörsen gehandelt

von DANIELA WEINGÄRTNER

Auf der Website von EU-Verbraucherkommissar David Byrne steht das Thema Rauchen gleich hinter Bioterrorismus – und da gehört es nach Meinung des Chefs auch hin. Schließlich wird die Zahl der Todesopfer in der Union auf jährlich eine halbe Million geschätzt. Seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren führt der Ire einen beispiellosen Feldzug, der von seiner Umgebung tiefenpsychologisch gedeutet wird: Einst kettenrauchende Konvertiten sind eben die strengsten Abstinenzler.

Den Zorn der Werbeindustrie und der Formel-1-Fans erregte Byrne mit seinem Vorstoß, die Zigarettenwerbung EU-weit zu verbieten. Im zweiten Anlauf setzte er sich Ende Dezember damit durch. In der belgischen Rennsport-Hochburg Francorchamps kann man sehen, wozu solche Gesetze führen: Seit die Grünen ein Bandenwerbeverbot für Zigaretten durchsetzten, fahren die schnellen Autos anderswo spazieren, und die Grünen sind nicht mehr in der Regierung.

Um die Frage, wie die Packung auszusehen hat, in der das Teufelszeug drin ist, kümmerte sich Byrne gleich zu Beginn seiner Amtszeit. Doch in Brüssel dauert Gesetzgebung immer etwas länger. Nach einem Vermittlungsverfahren zwischen Rat und Parlament war die „Richtlinie über Tabakerzeugnisse“ im Mai 2001 beschlossene Sache. Spätestens seit 1. Oktober dieses Jahres müssen die Glimmstengel in jedem Mitgliedsland mit Todesanzeigen umwickelt sein: Unablösbar, unverwischbar, Helvetica schwarz fett auf weißem Untergrund, umrahmt von einem schwarzen Balken, der mindestens drei, aber höchstens vier Millimeter breit sein muss – „parallel zur Oberkante der Packung in derselben Richtung wie die übrigen Informationen auf der Packung anzuordnen.“

Auf der Vorderseite jeder Schachtel muss stehen: „Rauchen ist tödlich“, „Rauchen kann tödlich sein“ oder: „Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.“ Dreißig Prozent der Oberfläche müssen dem Warnhinweis vorbehalten sein, Tricks sind nicht erlaubt: Wer glaubt, er könne die rauen Sätze teilweise mit der Steuerbanderole verdecken, verstößt gegen die Brüsseler Vorschriften.

Auf der Rückseite sind der Gestaltungsfantasie keine Grenzen gesetzt. Dort müssen 40 Prozent der Fläche regelmäßig wechselnd mit einem von vierzehn Gruselkrimis bedruckt werden, deren harmlosester lautet: „Ihr Arzt oder Apotheker kann Ihnen dabei helfen, das Rauchen aufzugeben.“ Bevor man morgens auf nüchternen Magen die Rückseite der gerade frisch erworbenen Packung betrachtet, raucht man vielleicht besser erst mal eine. Sätze wie „Rauchen kann die Spermatozoen schädigen und schränkt die Fruchtbarkeit ein“ oder „Rauchen kann zu Durchblutungsstörungen führen und verursacht Impotenz“ klingen auch auf Spanisch nicht nett und könnten bei Männern zu unerwünschten psychischen Nebenwirkungen führen. Junge Frauen wird man künftig im Zeitungskiosk an der Ecke nicht nach der Freundin von letzter Woche mit Diätrezepten stöbern sehen, sondern nach der einzigen Zigarettenpackung im Regal, auf der heute nicht draufsteht: „Rauchen lässt Ihre Haut altern.“

Wer sich noch einen Nostalgievorrat an Packungen sichern will, die wie Zigarettenschachteln aussehen, sollte nach Luxemburg fahren. Dort wurde die Richtlinie erst mit Verspätung in nationales Recht umgesetzt. Die Kommission hat ihr Vertragsverletzungsverfahren aber inzwischen eingestellt. Denn auch im Großherzogtum werden die glitzernden Schachteln mit dem Aufdruck „Light“ oder „Extra light“ als Balsam für die Raucherseele bald aus den Regalen verschwunden sein.

Ein Objekt für Sammler. Aber auch David Byrnes Dracula-Design hat gute Chancen auf Kultstatus. Es liegt im Trend von Halloween und Harry Potter. Vierzehn verschiedene Sammelobjekte in jeweils elf Amtssprachen der Union – bei dieser Vielfalt kann nicht einmal die Euromünze mithalten. Ab nächstem Herbst will die Kommission sogar noch eine Fotodatenbank ins Netz stellen, aus der die Zigarettenhersteller sich bedienen müssen, wenn die nationalen Verordnungen zusätzlich zum Kurzkrimi Fotos oder Abbildungen verlangen.

Zigarettenbildchen tauschten Kinder zu allen Zeiten gern. Was dürfen sie Neues erwarten? Eine Raucherlunge im Vierfarbendruck? Die schönsten Porträts aus der Ahnengalerie der Adams Family? „Feel free to say no“ heißt der Titelsong zu David Byrnes 18-Millionen-Euro-Kampagne gegen das Rauchen. Stars wie Loona, Wonderwall oder Moby sollen junge Menschen von der Zigarette wegbringen. Verglichen mit den Gruftisprüchen auf der Packung sehen sie ziemlich blass aus.

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