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Leise nieselt der Schnee

Skispringen à la Berlin: 500 Zuschauer maulen und tragen lila Mützen. Sven Hannawald kommt, springt aber nicht

Vielleicht lag es am grauen Himmel. Oder am Regen, der beständig von ebenjenem nieselte. Oder am Wind, der es richtig ungemütlich machte, sich zwei Stunden die Beine in den Bauch zu stehen. Oder es lag am Schnee, den sie eigens aus Cottbus herangekarrt hatten und der nun als weißgraue Pampe vor sich hin schmolz. Der Berliner an sich ist zumindest Letzteres Mitte November nicht unbedingt gewohnt – und schon gar nicht, dass man eine Sprungschanze aufbaut, direkt vorm Brandenburger Tor.

Was auch immer es gewesen sein mag: Auf jeden Fall war die Stimmung nicht so, wie man sie normalerweise kennt vom Skispringen. Auch der Regierende Bürgermeister hat das sogleich gemerkt und seine Regierten zu etwas mehr Euphorie ermahnt: „Ein bisschen mehr Begeisterung für den Wintersport“, rief Klaus Wowereit ins Mikrofon. Genutzt hat die amtliche Spaßanordnung nicht wirklich, die allgemeine Laune blieb mau – und wurde damit dem vom Fernsehsender RTL organisierten Event vollauf gerecht.

Dabei sind die Fernsehmacher aus Köln mit besten Vorsätzen in die Hauptstadt gekommen: Um, wie RTL-Skisprungexperte Dieter Thoma das Volk wissen ließ, „dem Publikum Skispringen wieder etwas näher zu bringen“. Schließlich startet am übernächsten Wochenende die Weltcup-Saison und an deren Ende soll zuvörderst eins stimmen: die Quoten.

Gestern war deshalb vor allem zu beobachten, wie der Show-Sender RTL den Menschen Skispringen näher bringt: Große, lila Kühe vom Sponsor wurden aufgeblasen, den knapp 500 Zuschauern ebenso lilafarbene Mützen auf die Köpfe gesetzt, zudem magentafarbene Fähnchen von einem anderen Sponsor aufgestellt und eine große Videoleinwand gleich obendrein. Alles was man zum Skispringen eben so braucht, samt – wie erwähnt – Schanze, in diesem Fall ein transportables Exemplar, von dem Sprünge eher bescheidener Weiten möglich sind. Der Rekord des Tages sollte später bei 22 Metern liegen.

Natürlich waren auch deutsche Skisprunghelden ans Brandenburger Tor gekarrt worden, um die Werbetrommel für sich und RTL zu rühren, allen voran Sven Hannawald und Martin Schmitt. Doch die Menge der hysterisch kreischenden Zahnspangenträgerinnen hielt sich in Grenzen, jedenfalls war weit und breit kein Plakat zu sehen, auf dem Teenagerlyrik geschrieben stand wie „Hanni, ich will ein Kind von Dir“. Was wiederum daran gelegen haben könnte, dass Hanni und Kollegen so kurz vor der Saison natürlich nicht selbst von der Schanze sprangen, sondern das dem Nachwuchs des WSV Bad Freienwalde überließen, was RTL übrigens tatsächlich live im Fernsehen übertrug, zumindest in Ausschnitten.

Immerhin hatten Schmitti, Hanni und die anderen somit Zeit, die ein oder andere Frage des Moderators gewissenhaft zu beantworten. „Ich bin gut drauf und freue mich, dass es losgeht“, erfuhr man so beispielsweise von Martin Schmitt. „Ich möchte die Saison so gut wie möglich hinter mich bringen“ von Hannawald. Das sind wirklich sensationelle Neuigkeiten, wem aber selbst die nicht genug waren, der konnte persönlich nachhaken. Susan aus Brandenburg zum Beispiel tat das, ergriff das Mikrofon und wollte wissen, was die netten Jungs im Sommer so treiben, während Manfred aus Berlin sich gar an eine Fachfrage heranwagte und insistierte, was der alte Bundestrainer derzeit so treibe.

Dann war auch dieser Programmteil abgehakt, der Himmel in der Zwischenzeit noch viel grauer geworden und der Regierende längst schon wieder verschwunden. Richtig, Alex ist noch aufgetreten, der RTL-Superstar, und schwurbelte irgendein Liedchen ins Mikrofon. Skisprungstimmung kam dadurch immer noch nicht auf.FRANK KETTERER

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