: Die Nazismachen es uns vor
Niemand hat die Chancen der Wiedervereinigungso erfolgreich genutzt wie die Rechtsextremisten
BERLIN taz ■ Man kann nicht behaupten, die deutsche Einheit habe keine Erfolgsgeschichte. Eine, wo der Westen vom Osten wirklich Entscheidendes lernt und es nicht nur behauptet. Wo der Osten die Erfahrungen des Westens neidlos anerkennt und entsprechend handelt. Und wo um Gemeinsames gerungen wird und am Ende etwas Neues und Innovatives entsteht. Doch, das gibt es. Und das beste Beispiel dafür sind unsere Nazis.
Als die Mauer fiel, fürchteten viele – vor allem im Ausland –, nun würde Deutschland erneut nach rechts driften. Vermutlich auch, weil Klischees so stupide sind. Doch hierzulande mochte man nicht ermahnt werden. Nicht jetzt, in der Stunde der Seligkeit. Und in aller Ruhe konnte die extreme Rechte etwas völlig Neues aufbauen.
Wie haben sie das gemacht? Sie haben genau hingesehen, ihre Chancen erkannt, das Potenzial des Ostens richtig eingeschätzt und Schritt für Schritt auch neue Organisationsformen – etwa „Kameradschaften“ – schätzen gelernt. Sie haben Themen gesetzt, in Bewegungen und Stimmungen eingebracht und sich nicht gewehrt gegen den rauen sozialrevolutionären Wind, der aus dem Osten wehte. Im Gegenteil. So wurde die NPD der Rechtskonservativen und Altnazis langsam zu einer Partei neuen Typs mit vielen Aktionsformen und durch den Osten inspirierten frischen Debatten.
Die Kameradschaften und ihre Netze sind ein echtes Nachwendeprodukt. Hier hat der Osten gezeigt, wie es gehen kann. Zwischen autonom und führerorientiert dominierten die Kameradschaften bald ganze Landstriche im Osten, während die intellektuelle Verarbeitung und Übersetzung in Strategien als Gemeinschaftswerk auch auf den Westen auszustrahlen begann.
Das verlief zwar nicht ohne Probleme und Rivalitäten, doch schließlich war die Herausforderung, aus Ost und West etwas Neues zu machen, verlockend. Und wirklich, bei den Nazis spielen Ost-West-Probleme heute kaum eine Rolle.
Nazigrößen wie Steffen Hupka lockte es in den Osten. Er kaufte das Schloss Trebnitz in Sachsen-Anhalt, Günther Deckert ließ sich im sächsischen Gränitz nieder, und Thorsten Heise hat sich im thüringischen Fretterode ein Fachwerkhaus zugelegt. Doch nicht die günstigen Liegenschaften allein machten den Osten so anziehend für sie. In jeder Klein- oder Großstadt bildeten sich Gruppen – mal Kameradschaften genannt, mal Heimatschutzbund –, die mit wenig oder gar keiner Konkurrenz den Alltag beeinflussten. Sie sind aktiv, zeigen Initiative und organisieren sich. Eine echte Aufbruchstimmung seit 1989.
Viele Menschen in Ostdeutschland fragten sich, was an den Nazis so falsch sein soll. Ist das nicht Demokratie? Es etabliert sich ein Alltag mit Nazis als immer währende Hintergrundmusik. Sogar Gewalt gehört zu diesem Alltag. Gewalt gegen die Feindgruppen: Linke, Ausländer, Obdachlose, Schwule, Juden. So zeigt sich Ostdeutschland nicht nur als Reservoir fabelhafter Immobilien, sondern als Übungsgelände. Wie weit kann man gehen im Alltag, wie die Leute ansprechen, wie Netzwerke entwickeln? Und wo kann trainiert, effektiv trainiert werden? Mit Waffen, mit Strukturen, mit Meinungsbildern. Das Modell kulturelle Hegemonie in den Gemeinden konnte nur im Osten ausprobiert werden. Die westdeutschen Rechtsextremen lernen daraus. Die Zeit wurde gut genutzt, die Erfahrungen helfen, nun auch stärker wieder den Westen anzugehen. Und dies mündet mal in Wahlerfolge, mal in dominante Jugendkultur, mal in beides.
Zugegeben: Unsere Nazis hatten auch Hilfe. Die Wiedervereinigung wies in ihrem Charakter in Richtung Nationalstaat als eher völkischer denn verfassungspatriotischer Bund. Die Stimmung seit dem Mauerfall richtete sich augenblicklich gegen Migranten und Ausländer. Und kein Kanzler widersprach dem. Im Gegenteil. Kommentarlos und ohne Hilfe wurden 20 Prozent der Flüchtlinge in Ostdeutschland abgesetzt. Dies kulminierte als inszenierte Katastrophe im Pogrom von Rostock 1992.
Die neuen Nazis im Osten wurden als Wende- und Jugendgewaltproblem klein geredet, zu Opfern der Umstände. Offene und akzeptierende Jugendarbeit, die schon im Westen versagt hatte, sollte es richten. Diesmal waren ABM-Muttis und -Vatis hilfreich beim Aufbau der nationalistischen Infrastruktur.
Doch diese Erfolgsgeschichte ist ohne ein gehöriges Ignorieren, Übersehen, Abwehren und Verleugnen kaum denkbar. Und das wurde in Deutschland – auch in der DDR – gründlich trainiert. Die Ossis beharrten aggressiv darauf, kein Problem mit Nazis zu haben, und die Wessis übten milde Nach- und Vorsicht. Ausgerechnet an dieser Stelle.
Daran hat sich einiges geändert im Laufe der Jahre. Aber eben nicht so schnell, wie unsere Nazis in der Bevölkerung erfolgreich sein konnten. Sie haben es geschafft, dass fast alles, was geschieht, sich durch ihre Linse bricht und neue ideologische Nahrung liefert. Sie haben ein Muster kreiert, das funktioniert, weil es übersehen wird. Sie haben Themen infiziert – und das durch eine Mischung aus Strategie, Gewalt und Nachbarschaftshilfe, zwischen Ideologieschulung und gemeinschaftsstiftenden Gewaltexzessen, zwischen Alt- und Neonazis, Kadern und Skinheads, Parteidisziplin und autonomer Wildheit. Zwischen Ost und West. ANETTA KAHANE
ANETTA KAHANE (50) ist Vorsitzende der 1998 von ihr gegründeten Amadeu-Antonio-Stiftung
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