: „Uruguay hat gegen die Angst gewählt“, sagt Eduardo Galeano
Im Schatten des Sieges von George W. Bush hat sich Uruguay gegen die Logik des Neoliberalismus entschieden
taz: Herr Galeano, noch vier Jahre Bush – was bedeutet das?
Eduardo Galeano: Es ist ein Sieg der Angst. Wir sind in der Hand eines Verrückten, der wie ein Betrunkener das Offensichtliche negiert. Bush sagt, dass die Welt immer sicherer wird, während sie explodiert.
Kerry wäre besser gewesen?
Als US-Bürger hätte ich Nader gewählt, denn das Schlimmste für eine Demokratie ist eine Einheitspartei, die sich als zwei Parteien ausgibt. Aber das verleitet mich nicht zu der Ansicht, dass Bush das Gleiche ist wie Kerry. Natürlich ist Bush schlimmer.
Manche sagen, solange die USA in anderen Teilen der Welt beschäftigt sind, können sie in Lateinamerika nicht so viel Unheil anrichten. Sie auch?
Auf die direkten Militär-Eingriffe trifft das zu, die Marines sind im Irak beschäftigt. Aber bei uns landen andere Soldaten, die genauso viel zerstören: IWF, Weltbank und WTO. Diese Machtstruktur setzt uns mehr zu als je zuvor. Sie lassen uns nicht in Ruhe.
Nun hat Uruguay gewählt …
Ja, aber hier war es ein Sieg über die Angst. Das ist neu. Hier hat die Rechte eine Angstkampagne gefahren, die haben die „Frente Amplio“ (Breite Front) mit den Tupamaros gleichgesetzt und suggeriert, die Linke seien Entführer, Mörder, Diebe und Vergewaltiger. Ein Kandidat für die Vizepräsidentschaft warnte, nach einem Sieg der Linken müssten sich alle Uruguayer gleich kleiden, so wie die Chinesen zu Maos Zeiten. Und auch der Sieg im Wasser-Plebiszit war ein Sieg über die Angst. Es wurde verbreitet, Uruguay werde sich ohne die Privatisierungen in ein Land der schwarzen Brunnen verwandeln, die Uruguayer seinen Exoten, Marsmenschen in einer Welt, wo das Wasser privat verwaltet werde. Diese Lüge hat der Kulturminister verbreitet! Doch Uruguay hat als erstes Land der Welt eine Volksabstimmung über das Wasser organisiert. Jetzt ist das Wasser nach dem Willen des Volkes als öffentliches Gut für alle in der Verfassung verankert und die Geschäftemacher bleiben draußen. Ein wichtiger Präzedenzfall.
Aber der Spielraum für die neue Linksregierung ist eng.
Ja, es ist klar, dass Uruguay nicht die Kraft hat zu sagen, wir werden die Schulden nicht mehr bezahlen. Aber Uruguay muss mit anderen lateinamerikanischen Ländern gemeinsam gegen den Würgegriff der Verschuldung angehen. Die Großen – Brasilien, Argentinien, Mexiko – müssen davon überzeugt werden, dass auch sie den stählernen Gesetzen der internationalen Machtstruktur unterworfen sind. Wenn sie glauben, sie können sich alleine retten, sind sie geliefert.
Was ist das Besondere an der uruguayischen Linken?
Die Frente ist ein Bündnis mit vielen Widersprüchen. Als Sohn von Marx und Enkel von Hegel bin ich davon überzeugt, dass der Widerspruch der Motor der Geschichte ist. Deswegen halte ich die Widersprüche der Frente für ein Zeichen, dass sie lebendig ist. Und dann die Geduld. Die Frente ist ganz langsam aufgebaut worden, ab 1971 und mit einer brutalen Unterbrechung durch die Militärdiktatur. Danach ist diese Energie wieder aufgegriffen worden und Bewusstsein für Bewusstsein, Haus für Haus erobert worden, mit einer geradezu chinesischen Geduld. Das war unglaublich, denn sonst ist die Linke sehr ungeduldig. Jetzt ist diese Entwicklung in den Wahlsieg gemündet.
Könnten Sie den neuen Präsidenten charakterisieren?
Tabaré Vázquez ist sehr nüchtern, ernsthaft, verantwortungsvoll. Sein ganzes Leben lang haben seine Taten und sein Handeln übereingestimmt. Es ist sehr, sehr uruguayisch in seiner sanften, verhaltenen Art zu reden. Er treibt die Nüchternheit auf die Spitze, wenn man das sagen kann.
In puncto Vergangenheitsbewältigung hat sich die Frente sehr vorsichtig geäußert …
Ja, wie eigentlich auf allen Gebieten. Wir müssen um die Rückgewinnung der Erinnerung und gegen Uruguay als Paradies der Straflosigkeit kämpfen. In den Jahren des erzwungenen Gedächtnisverlustes mussten wir den Müll unter dem Teppich verstecken und den Mund halten.
Und das will die neue Regierung wirklich ändern?
Ja, das hat Tabaré Vázquez versprochen. Es wird ein langer Weg, aber es nützt nichts, groß herumzuschreien. Es geht darum, langsam mit klarem Ziel zu handeln.
Das klingt sehr nach dem brasilianischen Präsidenten Lula. Der ist der fast zwei Jahre im Amt, mit bescheidenem Ergebnis. Die neoliberale Logik scheint übermächtig.
Die Regierung Lula ist sehr widersprüchlich. Die Freigabe der Gensoja etwa ist schwer zu verstehen. Die besten Signale gehen in die Richtung, die gemeinsame Front zu erweitern, in der WTO mit Indien, Südafrika und China zusammenzuarbeiten. Doch auch hier ist der Ausgang offen. Uruguay jedenfalls ist zur Kooperation mit Argentinien und Brasilien verurteilt. Wir können uns nicht in ein eigenes Abenteuer stürzen.
Wie fühlen Sie sich angesichts von Bushs Sieg – und der Hoffnung hier in Uruguay?
Es ist eine Herausforderung. Viele US-Amerikaner denken, die Welt sind sie. Die Welt sieht das vielleicht anders. Es ist an der Zeit, nein zu sagen – besonders wir Lateinamerikaner, denen die Erniedrigung jahrhundertelang eingetrichtert worden ist. Uruguay ist ein kleines Land, das nie in den Medien auftaucht. Unser Wasser-Plebiszit hat jedoch Aufmerksamkeit verdient. Das sollte man uns nachmachen!
INTERVIEW: GERHARD DILGER
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